Grüner Nahverkehr: So macht es das Ausland

Deutschlands Städte sind durch zu viele und zu schmutzige Autos überlastet. Sie suchen nach grünen Lösungen für den Nahverkehr. Vorbilder gibt es im Ausland.

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Straßenbahn in Tallinn

(Bild: tallinn.ee)

Lesezeit: 4 Min.
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  • dpa
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Deutschland tut sich schwer mit der Mobilitätswende. Dabei könnte es so einfach sein: Das Auto stehen lassen und zu Fuß gehen oder Fahrrad, Bus und Bahn nutzen. Doch wie können die Deutschen dazu gebracht werden, auf ihr Auto zu verzichten und den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen? Der Bund und fünf deutsche "Modellstädte" wollen am kommenden Dienstag in Berlin ihre Projekte vorstellen. Manche Städte im Ausland sind da schon weiter.

Estlands Hauptstadt Tallinn gilt als europäischer Vorreiter in Sachen kostenloser Nahverkehr. Im Kampf gegen tägliche Staus und Auto-Abgase hat die Stadtverwaltung 2013 einen Nulltarif in der ganzen Stadt eingeführt. Seither können die rund 450.000 gemeldeten Einwohner der Großstadt an der Ostsee die Busse und Bahnen umsonst nutzen. Dazu brauchen sie eine Chipkarte, mit der sie sich nach dem Einsteigen an den Lesegeräten identifizieren müssen.

Nach Angaben von Tallinns Bürgermeister Taavi Aas haben sich die Fahrgastzahlen auf den innerstädtischen Zugverbindungen vervielfacht, während Busse und Straßenbahnen etwa 10 Prozent mehr Passagiere beförderten. Finanziell sei das Ganze für die Stadt tragfähig. Die wegfallenden Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf seien kompensiert worden durch die zusätzlichen Steuereinnahmen von Bürgern, die sich wegen des Nulltarifs in Tallinn registrierten.

Nach dem erfolgreichen Pilotversuch in der Hauptstadt ist der Gratis-Nahverkehr auch im Rest des Landes eingeführt worden. Seit 1. Juli ist in 11 von 15 Regionen das Busfahren gratis. Mit den Freifahrten soll die Umwelt geschützt, die Mobilität der ärmeren Teile der Bevölkerung erhöht und die Landflucht gestoppt werden.

In der litauischen Hauptstadt Vilnius will ein Start-up mit einer App die urbane Mobilität verbessern. Über die gleichnamige Anwendung des Anbieters Trafi lassen sich in Echtzeit Informationen zu allen in der Stadt verfügbaren Verkehrsmitteln abrufen, diese über die App buchen und automatisch bezahlen. Nebenbei liefert die App Daten, die die Stadtverwaltung als Grundlage für ihre Verkehrsplanung nutzen kann.

Trafi bündelt die verschiedenen Verkehrsmittel in einer App. Tippt der Nutzer seine Zieladresse ein, zeigt das Smartphone mehrere Vorschläge mit verschiedenen Verkehrsmitteln an. Eine Stadtkarte zeigt außerdem die Positionen der Busse samt Wartezeiten. Und auch die aktuellen Standorte der verfügbaren Citybikes und Car-Sharing-Autos sind auf dem Display zu sehen. Auswählen, antippen, bezahlen – fertig.

"Im Prinzip ist es wie eine Suchmaschine für meine aktuell zur Verfügung stehenden Mobilitätsmöglichkeiten", sagt Martynas Gudonavicius, Mitgründer und Chef von Trafi. Dabei fließen auch Echtzeitendaten zu Staus, Baustellen oder zum Wetter in die Suche ein. Nach Angaben von Gudonavicius nutzen schon mehr als 100.000 der gut 540.000 Bewohner von Vilnius die App.

Wien macht das Autofahren durch viele Einbahnstraßen und wenige kostenlose Parkplätze immer unattraktiver. Zugleich bezuschusst die von einer rot-grünen Koalition regierten Millionenmetropole die Nutzung von Bussen und Bahnen mit rund 500 Millionen Euro im Jahr – das sind 40 Prozent der anfallenden Kosten. Die Folge: Inzwischen haben 760.000 Menschen eine im europäischen Vergleich günstige Jahreskarte für 365 Euro. Damit gibt es mehr Jahreskarten als zugelassene Autos.

Die meisten Wege werden mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt – kein Wunder bei einem tagsüber herrschenden Drei- bis Fünf-Minuten-Takt der U-Bahnen.

Die britische Regierung fördert den Kauf von Bussen mit Elektroantrieb und Hybridmotoren durch öffentliche Verkehrsbetriebe mit millionenschweren Förderprogrammen. Seit 2009 wurden dadurch insgesamt bereits 1600 Fahrzeuge mit umweltfreundlichem Antrieb auf die Straßen gebracht. In Schottland und Nordirland gibt es ähnliche Programme. (anw)