Missing Link zu Smart Borders: “Die Leute werden jede Grenze niederreißen”

Zwischen Irland und Nordirland könnte eine Smart Border kommen. Kann das funktionieren angesichts der vielen Mentalitäten, die auf der Grünen Insel herrschen?

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Smart Border in Irland: “Die Leute werden jede Grenze niederreißen”

Selbstgebasteltes Plakat im katholischen Bogside-Viertel in der Grenzstadt Derry. 1916 gab es eine gewalttätige Rebellion der Iren gegen die Briten.

(Bild: Valerie Lux)

Lesezeit: 35 Min.
Von
  • Valerie Lux
  • Markus Montz
Inhaltsverzeichnis

Killea/Donegal, Irland. Ich stehe an einer Straße, inmitten von grünen, hügeligen Landschaften. Es nieselt leicht. Von der Weide hinter mir aus beobachten mich einige Kühe, die ihr Gras wiederkäuen. Auf der zweispurigen Landstraße vor mir rauscht ein immerwährender Verkehr von Lastwagen und Autos mit britischen und irischen Kennzeichen vorbei. Grenzposten? Fehlanzeige. Zollhäuschen? Keine da. Schilder, die anzeigen, dass man gerade eine staatliche Grenze übertritt? Nicht zu sehen. Infrastruktur wie Schranken oder auf den Boden gemalte Zeichen? Nada. Niente.

Ich stehe im Jahr 2018 an der jahrzehntelang blutig umkämpften Grenze zwischen dem protestantischen Norden und dem katholischen Süden und man sieht keinen Hinweis des Gemetzels. Auch deutet nichts daraufhin, dass um dieses Stück Wald-und-Wiesenidylle in den Brexit-Verhandlungsrunden zwischen Großbritannien und der EU seit Monaten auf das Heftigste gerungen wird. Hier zwischen den Kühen links und den Schafen rechts soll im März 2019 die neue EU-Außengrenze errichtet werden.

Wenn es nach dem Willen der britischen Regierung geht, wird hier eine neue hochmoderne Grenze aufgebaut, die genau registriert, wer ein- und wer ausfährt. Die smart border 2.0. Wenn es nach dem Willen der Bürger der Grenzregion, dem irischen Ministerpräsidenten und der IRA ginge, würden hier weder Kameras noch Gatter aufgebaut.

Der Konflikt zwischen Briten und Iren, zwischen Katholiken und Protestanten, der bis in die neunziger Jahre hinein tobte, lässt sich mit einer Zahl ausdrücken: 3568. So viele Menschen sind in dem Konflikt seit den sechziger Jahren gestorben, Zivilisten und Soldaten, Schafhirten und Büroangestellte. Durch den Brexit hat Großbritannien gleich einen ganzen Geschirrladen diplomatischer Bemühungen um den Frieden zerschlagen. Jahrzehntelang rangen Politiker auf beiden Seiten der grünen Insel um die Befriedung dieser Gebiete. 1998 wurde mit dem Karfreitagsabkommen der Nordirlandkonflikt beendet und man einigte sich auf eine “No Border”-Politik. De iure gibt es zwar eine Grenze zwischen Norden und Süden, de facto wurde in dem Abkommen aber vereinbart, diese nicht zu kontrollieren.

In der Nähe der Schafweide sitzen mehrere Jungen von ungefähr zwölf Jahren auf einem Holzgatter. Kreischende Teenager-Mädchen kommen aus einem benachbarten Haus gerannt. Sie streicheln die Schafe, die ihrem Kopf durch die drahtigen Quadrate strecken, hungrig nach Gras. Sie kichern und lachen und verständigen sich in einer Sprache, die nicht verstehe. “Oh, das ist Gälisch”, erklärt mir ein blonder Junge mit Sommersprossen die seltsam klingenden Laute. “Wir werden in Irland erst seit einigen Jahren in unserer Schule ausschließlich in gälischer Sprache unterrichtet. Damit wir unsere irische Tradition nicht vergessen.” Vögel zirpen. Er grinst. “Manche englischsprachige Eltern verstehen uns dann nicht mehr”, sagt er und lacht breit. Er krault einem Schaf den flauschigen Kiefer. Die Herde blökt. Der Wind weht über das Gras.

Nach dem britischen Ja zum Austritt vor zwei Jahren verkündete die britische Regierung unter Theresa May hektisch, dass stets eine “reibungslose und unsichtbare Grenze” zwischen Nordirland und Irland gewährleistet werden würde. Es soll ein intelligenter Übergang gebaut werden, auch “soft border” genannt. Eine unsichtbare Mauer, die jeden Reisenden bemerkt, während sie von den Grenzgängern unbemerkt bleibt. Privatpersonen wie kommerzielle Händler sollen automatisch überwacht werden, so dass “Einwohner nahtlos zwischen den beiden Ländern hin- und herpendeln können”, so die britische Regierung.

Doch Großbritannien hat die Rechnung offenbar ohne die Europäische Union gemacht. “Die EU wird unter keinen Umständen dieser Form von offenen Grenze zustimmen, solange keinerlei Freihandelsabkommen mit Großbritannien verhandelt wurde”, ist die unmissverständliche Position des französischen Brexit-Chefunterhändlers Michel Barnier. Ist der technisch optimierte Zaun schon jetzt ein hoffnungsloses Unterfangen oder birgt er die Lösung für alle Grenzstreitigkeiten?

Die smart border 2.0 besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten: Datenbanken, Satelliten und RFID-Technologie. In den Datenbanken wird jeder Bürger mit seinem Reiseprofil gespeichert. Mit der Satellitenüberwachung erkennt man die Bewegung von Menschen und Lastwagen. Mit RFID-Chips können Güter und Ausweisdokumente gekennzeichnet werden, die ihre Daten an die Grenztore zurückfunken. Natürlich ist auch eine Prise Künstliche Intelligenz mit dabei: Die Kameraüberwachung mit Nummernschilderkennung von Autos ist schon fast perfektioniert.

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In der endgültigen Version der smart border trennt eine feste Grenze ganz Nordirland von der Republik Irland, dazwischen befinden sich automatisierte Tore aus Metall. Auf jeder befestigten staatlichen Straße befindet sich ein Durchlass, der sich automatisch schließt und öffnet, je nachdem, wer gerade hindurch möchte. Nähert sich ein Bewohner der Grenzregion mit einem elektronischen Pass, öffnet sich das Tor. Möchte hingegen ein Migrant illegal hindurch, bleibt das Tor geschlossen.

Die automatische Nummernschilderkennung hat schon 2016 bessere Ergebnisse als das menschliche Auge erzielt. In 99,9 Prozent der Fälle konnte die KI trotz Regen, Dunkelheit oder schlechten Lichtverhältnissen das Nummernschild im Kamerabild verifizieren, während dem menschlichen Auge das nur in 99,5 Prozent aller Beobachtungen gelang.