China und Taiwan: Wer ist "gut", wer "böse"?

Oft falsch gedeutet: Zonen zur Luftraumüberwachung im Ostchinesischen Meer. Bild: Maximilian Dörrbecker (Chumwa), CC BY-SA 2.0

Falsche Berichte über eine angebliche Verletzung des Luftraums von Taiwan durch China. Geschichte hinter dem Konflikt weitgehend unbekannt. (Teil 1)

"Chinesische Kampfflieger dringen in Taiwans Luftraum ein", mit dieser Nachricht haben auch deutsche Medien in der ersten Oktoberwoche für Aufsehen gesorgt. Natürlich war allen Beteiligten sofort klar: China – das sind die "Bösen".

Diese bei uns sowieso schon schlecht beleumundete Nation lässt ja neuerdings gerne aggressiv die Muskeln spielen und verletzt in diesem Fall zum wiederholten Mal und scheinbar ohne guten Grund den Luftraum eines anderen Staates.

Der wiederum ist zweifellos der "Gute", denn er ist klein – ein David, der sich gegen einen Goliath wehren muss –, wird angegriffen und gilt als demokratisch, im Unterschied zum autoritären "Regime" in Beijing.

Zwar hat die Deutsche Welle - für deutsche Medien eine Ausnahme - mit einem Autorenbeitrag eine Richtigstellung zu diesen alarmierenden Meldungen nachgeschoben. Es müsse, hieß es da, "genau unterschieden werden: Es gibt einerseits den nationalen Luftraum, der durch das internationale Recht geregelt ist, und sogenannte Luftraumüberwachungszonen (Air Defense Identification Zone, ADIZ), die keine Grundlage im internationalen Recht haben."

Noch am Vortag hatte die gleiche Redaktion berichtet: "Die chinesische Luftwaffe ist erneut mit Kampfflugzeugen in den Luftraum Taiwans eingedrungen. Es ist der dritte Zwischenfall dieser Art innerhalb weniger Tage - und der Zeitpunkt von Peking sehr genau gewählt."

Dabei ist die Luftwaffe der Volksrepublik China keineswegs in den völkerrechtlich definierten Luftraum Taiwans eingedrungen, sondern in eine von Taiwan selbst definierte "Luftraumüberwachungszone", die übrigens – das ist bemerkenswert – weit bis über das chinesische Festland reicht.

Es mag sein, dass es sich bei diesem Fall um eine etwas schwierige Sachlage handelt. Recherchen zur Sachlage halten manche Journalisten offenbar aber für ebenso überflüssig wie eine nachträgliche Richtigstellung.

Die Fortsetzung war damit klar: Taiwan brauche dringend mehr Waffen, hieß es in der Neuen Zürcher Zeitung: "Taiwans Regierung verspricht daher bereits, insbesondere mehr Raketen anzuschaffen, um chinesische Flugzeuge, Schiffe und Militärbasen attackieren zu können."

Das Resultat: Angesichts der Sachlage sind "wir" natürlich ohne weitere Nachfrage dafür, dass sich der kleine, demokratische David angemessen verteidigen kann - was denn sonst? Oder ist die "Taiwan-Frage" vielleicht doch etwas anders beschaffen?

Die Geburtsstunde der "Taiwan-Frage"

Die Volksrepublik China wurde am 1. Oktober 1949 gegründet. Vorausgegangen war ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg zwischen der Kuomintang-Partei, die 1911 unter Sun Yat-Sen den letzten chinesischen Kaiser gestürzt hatte und das Land zu einer bürgerlichen Republik nach westlichem Vorbild machen wollte, unter ihrem damaligen Führer Ciang Kai-Shek und der Kommunistischen Partei unter Mao Zedong.

Die Sowjetunion, die nach den Jahren des Bürgerkrieges und der Interventionen kapitalistischer Staaten in die junge Republik endlich Ruhe an ihrer langen Ostgrenze haben wollte, hatte seit den 1920er-Jahren immer wieder versucht, beiden Parteien – gegen alle ideologischen Differenzen – die Bildung einer Volksfront ans Herz zu legen.

Es gab sogar entsprechende Versuche. Während des Zweiten Weltkriegs wurde China von den Japanern besetzt, die einen "Ergänzungsraum" für ihren aufstrebenden Kapitalismus beanspruchten. Die Folge waren 20 Millionen Tote auf chinesischer Seite und unvorstellbare Gräueltaten. In dieser Situation schlossen sich Kuomintang und Kommunisten zweimal zu einer Einheitsfront zusammen.

Beide Versuche endeten allerdings damit, dass Ciang Kai-Shek die immer stärker werdenden kommunistischen Bündnispartner massakrieren ließ, um an der Macht zu bleiben und seine "Ordnung" in China zu schützen: Die geltende Eigentumsordnung mit den Interessen der großen Grundbesitzer, Handelskapitale und der wenigen großen industriellen Unternehmen sowie der ausländischen Investoren.

Letztendlich gelang ihm das nicht - trotz massiv militärischer Überlegenheit auf der Basis moderner Waffen, die ihm die USA nach 1945 verstärkt lieferten, weil sie verhindern wollten, dass China an das kommunistische Lager fällt.

Der Grund für den im Westen unerwarteten Erfolg der "Roten": Maos Kommunistische Partei bot den Millionen chinesischer Bauern mit dem Versprechen einer Landreform eine echte Lebensperspektive. Zudem hatte die Volksbefreiungsarmee den Japanern bis zum Kriegsende den wesentlich entschiedeneren Widerstand entgegengesetzt und damit Mitglieder aller Klassen und Schichten für sich gewonnen.

Ciang Kai-Shek zog sich nach seiner Niederlage nach Taiwan zurück - eine Insel, die von 1895 bis 1945 von den Japanern besetzt gewesen war und damals noch den portugiesischen Namen "Formosa" - die Schöne - trug. Im Gepäck hatte er die Gold- und Devisenreserven des Landes; begleitet wurde er von Teilen der wirtschaftlichen und intellektuellen Elite.

Sein klares Ziel war die gewaltsame Wiedereroberung des Festlandes aus der Hand Maos. Dafür regierte er diktatorisch: Bis 1987 galt der Ausnahmezustand - es gab weder Pressefreiheit noch Wahlen, die Kuomintang blieb als einzige Partei einfach an der Macht.

Ein eigenständiger oder unabhängiger Staat wollte die "Republik China" bzw. das "National-China" in dieser Zeit keinesfalls sein. Ciang Kai-Shek vertrat - ebenso wie auf dem Festland Mao Zedong - die Idee eines unteilbaren Chinas. Allerdings war er im Unterschied zur kommunistischen Partei des Festlandes der Ansicht, dass er mit seiner Kuomintang-Partei dieses China repräsentiere.

Die USA, die sich noch nicht mit einem kommunistischen China abgefunden hatten und denen der revanchistischen Standpunkt Taiwans im beginnenden "Kalten Krieg" gelegen kam, statteten den "Generalissimus" für sein Vorhaben umgehend mit Waffen aus.

Nach dem Korea-Krieg stationierten sie darüber hinaus ihre Siebente Flotte permanent im Südpazifik und verhinderten damit einen Anschluss der abtrünnigen Provinz, wie das heutige Taiwan von der Volksrepublik gesehen wurde. Dort war man nicht gerade glücklich darüber, dass sich in unmittelbarer Nähe ihres Landes die Konterrevolution, unterstützt von den USA, versammelte.

Ende der 1950er-Jahre versuchte die Volksrepublik, sich durch Eroberung zwischengelagerter Inseln (Quemoy) strategische Vorteile zu verschaffen - was monatelangen Artillerie-Beschuss beider Seiten zur Folge hatte.

1962 wollte Ciang Kai-Shek Ernst machen mit der Eroberung des Festlandes, erhielt aber kein grünes Licht von seinen US-Verbündeten. Sowohl Maos China wie die USA schreckten zu dieser Zeit vor einem großen Krieg zurück.

International sorgten die Vereinigten Staaten dafür, dass Taiwan - nicht Festland-China - Repräsentanten in die UNO entsenden konnte. China war Gründungsmitglied der Weltorganisation und hatte einen der fünf Plätze im Sicherheitsrat bekommen. Regelmäßig gestellte Anträge verschiedener, vorwiegend sozialistischer Staaten, wehrten die USA mit ihrem Veto stets ab, sodass dieser Platz zunächst bei Taiwan blieb.