Konkurrenz unter Großmächten: Ist eine multipolare Welt erstrebenswert?

Blume des Internationalismus oder nur mehr Großmachtkonkurrenz? Der Sinn einer multipolaren Welt scheidet die Geister. Symbolbild: Wandgemälde von Diego Rivera / Escalante-Pasos / CC-BY-SA-4.0

Was ausgerechnet an einem kontroversen Kongress kleiner kommunistischer Gruppen dazu interessant ist: Der Ton blieb überwiegend sachlich! Trotz Streit über die Einschätzung Russlands und der Ukraine.

Was an einer Kontroverse kleiner kommunistischer Gruppen darüber interessant ist? Der Ton blieb überwiegend sachlich! Trotz Streits auch über die Einschätzung Russlands und der Ukraine.

Was an einem Kongress kleiner kommunistischer Gruppen interessant ist, die darüber kontrovers diskutierten? Der Ton blieb überwiegend sachlich! Trotz Streits auch über die Einschätzung Russlands und der Ukraine.

Es heißt, die Welt werde multipolar, weil der von der USA angeführte Block an Hegemonie verliert. Ist eine solche multipolare Welt erstrebenswert für Linke, die eigentlich eine Alternative zum Kapitalismus bevorzugen würden? Über diese Frage wurde am Wochenende beim Kommunismus-Kongress in Berlin lebhaft diskutiert. Der aufgezeichnete Livestream verschiedener Diskussionen ist im Netz weiterhin abrufbar.

Zunächst muss betont werden, dass es "den" Kommunismus nicht gibt. Folglich kann eine solche Veranstaltung nur eine bestimmte Lesart des Kommunismus abbilden. So hat das postautonome "Ums Ganze"-Bündnis in den vergangenen Jahren mehrere Kommunismus-Kongresse organisiert, deren Schwerpunkt auf marxistische Wert- und Nationalismuskritik lag. Der jüngste Kommunismus-Kongress wurde hingegen von der "Kommunistischen Organisation" ausgerichtet, die sich vor Jahren von der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und ihrer Jugendorganisation getrennt hat.

Mittlerweile hat sie Zulauf von jungen Menschen bekommen, die nie in der DKP waren. Auffällig viele junge Menschen waren auf dem Kongress anwesend. Einige waren der Meinung, dass eine multipolare Welt die Kampfbedingungen für Lohnabhängige und auch für die linke Bewegung verbessern würde.

Andere verwarfen diese Position mit dem Argument, dass heute der Kapitalismus weltumspannend sei. Überall gebe es Mehrwertausbeutung. Dort müssen Linke ansetzen. Die Hoffnung auf eine multipolare Welt, in der zwar nicht mehr die USA dominieren, aber unterschiedliche kapitalistische Staaten und Staatengruppen um Macht und Einfluss kämpfen, führe in eine Sackgasse – weg von einem weltumspannenden Klassenkampf.

Im Globalen Süden populär

Tatsächlich ist das Konzept der multinationalen Weltordnung auch von offizieller Seite starker Kritik ausgesetzt. Und das ist keine rein akademische Diskussion: Ein Sieg Russlands in dem Ukraine-Konflikt würde die Entwicklung hin zur multipolaren Welt beschleunigen, was vor allem im Globalen Süden begrüßt würde.

Auf die Sicht von Linken in Brasilien ging der Politikwissenschaftler Erhard Crome ein. Wie er ausführte, hält Valter Pomar, ein wichtiger Berater des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der nach den nächsten Wahlen erneut Brasilien regieren könnte, zwar den aktuellen russischen Präsidenten Wladimir Putin für einen Verbrecher – der Ukraine-Krieg hat allerdings aus der Sicht des brasilianischen Linken den Vorteil, dass die Welt nicht mehr von einem einzigen Hegemon bestimmt werde.

Ein Sieg der Ukraine mit Nato-Waffen wäre dagegen eine zumindest kurzfristige Festigung der westlichen Hegemonie und eine Niederlage für das Konzept einer multipolaren Welt, wie es auf dem Kongress von einigen Referenten ausgedrückt wurde.

Die Kritiker dieser Postion wollten den Sachverhalt gar nicht bestreiten. Doch sie betonten, dass durch eine multipolare Welt der Kampf gegen den Nationalismus keineswegs einfacher werde. Das war nicht der einzige Streitpunkt auf dem Kommunismus-Kongress, der sich den verschiedenen Aspekten des Ukraine-Konflikts widmete.

Nun könnte man sich fragen, warum Linke überhaupt noch darüber diskutieren, ob das russische Regime etwas Positives darstellen soll. Schließlich hat Putin in seiner Rede kurz vor dem Einmarsch in die Ukraine deutlich gemacht, dass er die Bolschewiki für den Zerfall Russlands verantwortlich macht.

Er hat sich hier eindeutig auf Argumentationsstränge der russischen Rechten im Kampf gegen die Oktoberrevolution bezogen. Eigentlich müsste dann zumindest für die Linke, die sich in der Tradition von Lenin sieht, klar sein, dass weder Putin noch seinen Krieg von einem linken Standpunkt zu verteidigen ist.

Das gemeinsame Suchen

Der als Referent auf dem Kongress eingeladene österreichische Publizist Hannes Hofbauer verwies auf die Parole der linken Arbeiterbewegung im Ersten Weltkrieg: Das ist nicht unser Krieg – das ist nicht unsere Schlacht.

Nun stellt sich die Frage: Warum soll uns die Debatte kleiner kommunistischer Gruppen interessieren? Der Grund für den Kongress war ein Streit über die Positionierung zum Ukraine-Krieg, den es auch, aber nicht nur innerhalb der Kommunistischen Organisation gibt – die Differenzen wurden natürlich nicht ausgeräumt. Doch deutlich wurde auch, dass über Differenzen sachlich und argumentativ diskutiert werden kann, wenn andere Positionen nicht von vornherein diffamiert und ausgegrenzt werden.

Karl Liebknechts berühmter Satz "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" wurde hier jedenfalls nicht sektiererisch auf Gruppen bezogen, mit denen man sich in wesentlichen Punkten einig war oder erst seit Beginn des Ukraine-Kriegs Differenzen über geopolitische Fragen hat, sondern auf die jeweiligen Profiteure von Krieg und Aufrüstung, deren Aktien steigen, wenn Menschen fallen.

Ein Vertreter der rätekommunistisch orientierten Stadtteilgruppe "Hände weg vom Wedding" berichtete über gute Erfahrungen mit diesem gemeinsamen Nenner bei Protesten unmittelbar nach Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine.

Die Gruppe "Kämpfende Jugend" berichtete von weniger erfolgreichen Demonstration gegen den Krieg, auf der es zu lautstarken Auseinandersetzungen mit Teilnehmern gekommen sei, die ein Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung betonen wollten.

Bis auf wenige Ausnahmen zeigte der Kongress, dass eine solche argumentative Auseinandersetzung möglich ist. Darauf könnten auch Menschen lernen, die wenig bis gar nichts mit den Gruppen teilen, die diesen Kongress organisierten.

Da wären gerade die auch die verschiedenen Fraktionen der antiautoritären Linken angesprochen. Dort muss man sicherlich nicht über den repressiven Charakter des russischen Regimes diskutieren.

Aber auch dort werden aktuell kritische Stimmen zur Nato oder Positionen des radikalen Pazifismus schnell in die Nähe von "Putin-Versteherei" gerückt. Manche linken Sozialbündnisse wollen das Thema Krieg und Militarismus gleich ganz ausblenden. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Geld fürs Militär und Frieren offensichtlich.

Doch es gibt auch in der Diskussionskultur der antiautoritäre Linken positive Ausnahmen. So veröffentlichte die Wochenzeitung Jungle World, die sich seit dem 24. Februar den Selbstbestimmungsrecht der Ukraine verschrieben hat, kürzlich ein Interview mit dem litauischen Verleger Darius Pocevičius, der sich selbst als Anarchist bezeichnet, der zum untergegangenen Realsozialismus allerdings einen sehr differenzierten Blick hat:

Ich hätte gerne über meiner Meinung nach positive Elemente beim Aufbau des Kommunismus zu Sowjetzeiten geschrieben. Es gab aus einem anarchistischen Blickwinkel durchaus begrüßenswerte Initiativen. Damit meine ich Strukturen, die parallel zum Staatswesen entstanden, wie Volksmilizen, die eine Alternative zur offiziellen Polizei darstellten.

Oder sogenannte Gesellschaftliche Gerichte als Gegenstück zur staatlichen Justiz, die in der zweiten Hälfte der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre angesagt waren, als die Doktrin zum Aufbau des Kommunismus zum Tragen kam … Auch existierten nach dem Krieg bis etwa 1965 in fast jedem Betrieb Fabrikkomitees, die eine reale Alternative zur offiziellen Betriebsverwaltung aus Direktoren und ihren Stellvertretern bildeten.

Parallel dazu funktionierte der Fabrikrat, in den gewöhnliche Ingenieure oder Arbeiter gewählt wurden und der über gewisse Mitbestimmungsrechte verfügte, beispielsweise hinsichtlich der Festlegung sozialer Zuschläge.


Darius Pocevičius, Jungle World

Pocevičius erinnerte auch daran, dass es in den nach dem Zerfall der Sowjetunion osteuropäischen gegründeten Nationalstaaten mindestens zwei Blöcke gab: einen linken prosowjetischen und einen antisowjetischen Block, bei dem immer auch Faschisten beteiligt waren. Es wäre wichtig, dass diese Tatsache in der Diskussion auch um die Ukraine nicht in Vergessenheit gerät.

Dabei berufen sich diverse ukrainische Nationalisten selbst auf die Kämpfe, die noch bis 1950 mit Unterstützung der USA weitergeführt wurden. Hannes Hofbauer erinnerte auf dem Kommunismus-Kongress daran, dass sich der Stellvertreter des antisemitischen ukrainischen Nationalistenführers Bandera, Jaroslaw Stezko 1983 mit dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan getroffen und ihn beschworen hat, im Kampf gegen die "Moskowiter", wie die Sowjetunion in dieser Terminologie hieß, nicht nachzulassen.

Stezko repräsentiert die Tradition dieser ukrainischen Nationalisten, die nach der zeitweisen Kollaboration mit den Nazis als antikommunistische Abendlandverteidiger im Kalten Krieg wieder gefragt waren. Er gründete den Antibolschewistischen Block der Nationen. Gern gesehen war er in Franco-Spanien, bis er erst in den 1960er-Jahren auch wieder in die USA einreisen durfte.

Seine Einladung bei Reagan war der Höhepunkt seiner Aktivitäten. Auf einem Foto seiner Organisation ist die Begegnung festgehalten. Darüber das Reagan-Zitat: "Ihr Kampf ist unser Kampf. Ihr Traum ist unser Traum." Den Sieg des ukrainischen Nationalismus erlebte Stezko nicht mehr, doch seine Witwe zog in den 1990er-Jahren als Abgeordnete einer rechten Partei in das ukrainische Parlament ein.

Das antifaschistische Magazin Lotta hat noch im letzten Jahr unter der Überschrift "Huldigung des Faschismus" über die Wiederkehr der Nazikollaborateure in Osteuropa klar beschrieben.

Es wäre schon erfreulich, wenn diese Erkenntnisse auch jetzt nicht vergessen würden. So hat der Kongress am Wochenende jenseits aller problematischen Positionen von Teilen der einladenden Gruppen doch gezeigt, über Streitfragen zum Krieg rund um die Ukraine kann und muss gestritten werden.

Peter Nowak gehört mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee zu den Autoren des kürzlich im Critic-Verlag erschienenes Buches "Nie wieder Krieg ohne uns … Deutschland und die Ukraine".