Recep Tayyip Erdogan: Aggressor im Gewand des Vermittlers

Warum sich der türkische Präsident mit Syriens Staatschef Assad versöhnen will – und weshalb Kritik an Russlands Ukraine-Feldzug aus Erdogans Mund ein Ablenkungsmanöver ist.

Recep Tayyip Erdogan forderte unlängst am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York Russland auf, die besetzten Gebiete in der Ukraine zurückzugeben und erhielt dafür international Beifall. Dass der türkische Präsident in Nordsyrien ebenso wie Putin in der Ukraine völkerrechtswidrig Gebiete besetzt, die Sanktionen gegen Russland unterläuft und die Mitgliedschaft in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) anstrebt, ist kaum Thema etablierter Medien.

Der SCO gehören China und Russland als die dominanten Mächte, sowie Indien, Pakistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan und Iran an. Als nächstes soll auch das mit Russland verbündete Belarus, das als ‚letzte Diktatur Europas‘ gilt, aufgenommen werden. Im Westen wird befürchtet, dass sich die SCO zu einer Militärorganisation gegen die Nato entwickeln könnte.

Die Türkei wäre somit das einzige Land, das sowohl in der Nato als auch in der SCO Mitglied wäre. Während Erdogan im Westen also den großen Vermittler und Friedensengel spielt, eskaliert er im Nahen Osten.

Sein neuester Plan ist es, sich mit dem syrischen Präsident Baschar al-Assad versöhnen. Bis vor kurzem wollte er ihn noch stürzen und unterstützte daher die islamistische Opposition in Syrien. Wie kam es zu dieser Kehrtwende?

Türkei: Innenpolitischer Druck und Aufbau von Feindbildern

Die türkische Regierung steht innenpolitisch unter Druck. Die ökonomische Lage ist katastrophal. Viele Menschen in der Türkei können sich kaum noch das Notwendigste kaufen. Die Repression gegen Geflüchtete aus Syrien nimmt zu.

So liegt es auf der Hand, dass sich die Regierung der rund drei Millionen syrischen Geflüchteten entledigen will, um wieder Sympathien bei der eigenen Bevölkerung zu gewinnen. Dazu gehört es auch, Feindbilder in der Bevölkerung zu manifestieren. Feindbild Nummer Eins ist seit Jahrzehnten die kurdische Bevölkerung.

Die Schikanen gegen sie haben mittlerweile Ausmaße angenommen, die einen fassungslos machen. Ein Beispiel: Erst kürzlich bekam ein Vater im Gerichtsgebäude von Diyarbakir die Knochen seines Sohnes in einer Plastiktüte ausgehändigt – sieben Jahre, nachdem der junge Mann vom türkischen Militär bei den Protesten gegen den Kahlschlag des historischen Stadtviertels Sur im Jahr 2015 getötet worden war.

Zur Wählergewinnung verbreitet die türkische Regierung Großmachtfantasien. Ein Thema, mit dem man in der Türkei punkten kann. Immer wieder versucht Erdogan daran zu erinnern, wo eigentlich die Grenzen des "türkischen Reiches" seien. Ganz Nordsyrien und der Nordirak inklusive Mossul und Kirkuk gehören demnach im Osten dazu.

Für Erdogans Plan, weitere Gebiete in Nordsyrien zu besetzen, gab es allerdings weder beim Treffen mit Putin in Teheran noch in Sotschi grünes Licht. Auch die USA verweigerten die Unterstützung. Alle Player erachteten eine türkische Intervention als zu gefährlich. In der Region zwischen Tel Rifat und Minbic, in der die Türkei einmarschieren wollte, agieren Iraner, Russen, lokale kurdische Einheiten und das syrische Regime.

Eine Sperrung des Luftraumes, wie sie von der demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Nordostsyrien (AANES) zum Schutz der Zivilbevölkerung gefordert wurde, zogen jedoch weder Russland noch die USA in Erwägung. Vermutlich riet man Erdogan, die Region weiterhin mit Drohnen- und Artillerieangriffen zu destabilisieren. Alle scheinen darauf zu setzen, dass sich die Bevölkerung letztlich von einer Selbstverwaltung abwendet, die sie immer weniger schützen kann.