UNO und Ukraine: Totalversagen oder Erfolg der kleinen Schritte?

Russlands Überfall auf die Ukraine macht die Reformbedürftigkeit der Uno deutlich. Trotz struktureller Defizite versucht die Weltorganisation Einfluss zu nehmen. Anmerkungen zur 77. UN-Vollversammlung im September 2022.

Als der Vertreter Russlands bzw. der Russischen Föderation im UNO-Sicherheitsrat, Wassili Nebensja, am 25.2.2022 sein Veto gegen eine Resolution einlegte, die sich gegen den russischen Angriff in der Ukraine richtete, wurde die Reformbedürftigkeit der Vereinten Nationen erneut sehr deutlich.

Wie kann einem angreifenden Staat, der ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der UNO ist, erlaubt werden, die Verurteilung und Maßnahmen in Bezug auf seine eigene militärische Aggression mit einem Veto zu blockieren? Dieses Veto der Russischen Föderation widerspricht moralisch fundierten Gerechtigkeitsnormen und ist Ausdruck der inzwischen historisch überholten Machtverhältnisse zum Ende des 2. Weltkrieges.

Wie wichtig wäre hier zumindest eine Reform des Abstimmungsmodus im Sicherheitsrat, der gerade dies verhindern könnte. Im Falle einer militärischen Aggression eines Veto-berechtigten Sicherheitsratsmitglieds müsste dieser Staat auf Antrag des UNO-Generalsekretärs oder eines Mitgliedsstaates des Sicherheitsrats von der ihn betreffenden Abstimmung ausgeschlossen werden.

Auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen forderte der ukrainische Präsident Selenskyj dementsprechend eine Bestrafung Russlands für dessen Angriff, die u.a. auf die Wegnahme auch der russischen Sonderrechte in den UN abzielte – so Selenskyj am 21.2.2022:

Nehmt das Stimmrecht weg! Entzieht den Delegationen ihre Privilegien! Hebt das Vetorecht auf, wenn es sich um ein Mitglied des UN-Sicherheitsrats handelt!

Zwar gab es Anfang März 2022 bereits eine spätere Verurteilung der russischen Aggression in der damaligen als Dringlichkeitssitzung einberufenen UN-Vollversammlung, bei der keine Blockade durch ein Veto eines Mitgliedsstaates möglich ist. 141 Mitgliedsstaaten verurteilten den russischen Angriff auf die Ukraine und forderten die Russische Föderation auf, den Angriff zu stoppen und die Truppen zurückzuziehen. Die fünf Gegenstimmen kamen von Russland, Belarus, Eritrea, Nordkorea und Syrien. China, Indien und der Iran zählten zu den 35 Staaten, die sich enthielten. Die Mehrheit in der UNO-Generalversammlung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Beschlüsse nur einen Empfehlungscharakter haben und völkerrechtlich nicht verbindlich sind.1

Einschneidende Reformen der Vereinten Nationen

Wenn die UNO demokratisch strukturiert sein und die UN-Vollversammlung das zentrale Organ sein sollte, dann müssten, fasst man entsprechende Reformvorschläge zusammen2, insbesondere fünf Reformmaßnahmen ergriffen werden:

  • 1. Die UNO-Vollversammlung dürfte – langfristig gesehen – nicht mehr aus delegierten Vertretern und Vertreterinnen der einzelnen Regierungen bestehen, sondern die Mitglieder müssten in globalen, demokratischen Wahlen ermittelt werden.
  • 2. Eine demokratisch gewählte UNO-Vollversammlung, also ein UN-Parlament, müsste mit unterschiedlichen, qualifizierten Mehrheiten verbindliche Entscheidungen fällen können, welche die Haupt-, Neben- und Sonderorganisationen – also auch der UNO-Sicherheitsrat – auszuführen haben.
  • 3. Alle UNO-Sicherheitsratsmitglieder werden von der UN-Vollversammlung gewählt, ohne dass es ständige Mitglieder und ein Veto-Recht für diese Mitglieder gibt. Die Befugnisse des UNO-Sicherheitsrats werden dann zukünftig nur noch im Bereich der Beratung und der Vorbereitung einer exekutiven Umsetzung der von der Vollversammlung gefällten Entscheidungen liegen.
  • 4. Alle UNO-Mitglieder – auch Staaten wie die USA, Russland oder China – haben sich der Uno-Gerichtsbarkeit zu unterwerfen.
  • 5. Die weltpolizeiliche Funktionen und Möglichkeiten der UN-Polizeikräfte und der UN-Blauhelme sind zu stärken.3

Derartige Reformen bedürfen nach geltendem Recht einer Veränderung der UN-Charta. So wäre für die Reform des UN-Sicherheitsrats, z.B. für Veränderung oder gar die Abschaffung des Veto-Rechts, eine Zweidrittelmehrheit in der UNO-Vollversammlung notwendig. Anschließend müsste die beabsichtigte Änderung der UN-Charta von zwei Dritteln der Mitgliedsstaaten einschließlich der fünf ständigen Mitglieder entsprechend deren nationaler Bestimmungen ratifiziert werden.

So schwierig eine derart radikale Reform der UNO derzeit erscheint, darf sie nicht im Zuge eines verkürzten politischen Realismus im Vorhinein verworfen werden. Nur wenn konsequente Reformvorstellungen entwickelt werden, können die ersten umsetzbaren Schritte systematisch in diese Richtung vorgenommen werden. Maßgebliche UN-Vertreter, wie z.B. der UN-Generalsekretär António Guterres, und zahlreiche Parlamentarier sowie transnationale Parlamente, wie z.B. das EU-Parlament4, denken bereits in diese Richtung und fordern erste Schritte einer einschneidenden Reform der Vereinten Nationen ein.

Auch der ukrainische Präsident Selenskyj fordert über die Umstrukturierung des Sicherheitsrats hinaus gravierende Veränderungen der Vereinten Nationen auf der strukturellen Ebene, die auf einer zukünftig in Kiew stattfindenden internationalen Konferenz entwickelt werden sollten – so Selenskyj im Rahmen der Generaldebatte der 77. UN-Vollversammlung:

Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, um der nächsten Generation eine effektive UN zu übergeben.

Doch unabhängig von der Diskussion über notwendige Reformen der Vereinten Nationen: Wie handlungsfähig ist die UNO im Rahmen der bereits vorhandenen Strukturen, wenn eine weltpolitische Katastrophe, wie der russische Überfall auf die Ukraine, eintritt? Sind sie völlig machtlos bei einem Krieg, der von einem ständigen Mitglied ihres Sicherheitsrats begonnen wird? Haben sie hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine bisher nichts oder nur wenig erreichen können?

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