Fachkräftemangel in Deutschland: Ja, nein, vielleicht doch?

Bild: Janno Nivergall auf Pixabay

Bundesregierung sieht keinen "umfassenden Fachkräftemangel". Koalitionspartner und Wirtschaftsvertreter widersprechen. Warum die amtliche Statistik daneben liegen könnte.

Der Fachkräftemangel in Deutschland ist bekannt – sein Ausmaß ist allerdings umstritten. Verbände hatten zuletzt den erheblichen Verlust an gesellschaftlichem Wohlstand betont, der mit fehlenden Fachkräften einhergeht. Für die Bundesregierung scheint das Problem dagegen weniger gravierend zu sein.

"Von einem umfassenden Fachkräftemangel bzw. von einem allgemeinen Arbeitskräftemangel kann in Deutschland jedoch nicht gesprochen werden", antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag.

Sie begründete das damit, dass deutlich mehr Menschen in Deutschland auf der Suche nach Arbeit waren, als es zuletzt offene Stellen gab. Auf rund 1,82 Millionen kamen im Dezember 2022 knapp 2,45 Millionen Arbeitslose. Werden noch Personen berücksichtigt, die nicht unter die offizielle Definition von "arbeitslos" fallen, ist der Kreis der Verfügbaren sogar noch höher.

Unter Berücksichtigung von Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, in vorübergehender Arbeitsunfähigkeit sowie in absehbar endender Erwerbstätigkeit, standen im Oktober 2022 rund 4,35 Millionen Arbeitssuchende für die Besetzung von offenen Stellen zur Verfügung.

Antwort der Bundesregierung

In der Regierungskoalition zeigte man sich verwundert über diesen Befund. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr: "Nur weil es mehr Arbeitslose als offene Stellen gibt, heißt das nicht, dass wir kein Problem haben". Die Zahlen könne man nicht gegeneinander aufwiegen, denn in jeder Branche seien unterschiedliche Fähigkeiten gefragt.

Auch dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) scheint die Antwort des Bundesarbeitsministeriums nicht schlüssig zu sein. Nach der Logik des Ministeriums müsste es in vielen Bereichen ausreichend Fachkräfte geben, erklärte das IW am Donnerstag.

Doch die Unternehmen würden andere Erfahrungen machen: Immer seltener würden sie passende Bewerbungen erhalten. Zudem entsprächen die methodischen Annahmen des Ministeriums nicht dem üblichen Vorgehen.

Letzteres begründet das IW damit, dass Unternehmen nicht alle Stellen melden und die amtliche Statistik deshalb nur einen Ausschnitt der tatsächlichen Nachfrage zeige. Nur etwa vier von zehn offenen Stellen würden auch in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) auftauchen.

Zudem würden in Berufsgruppen aus statistischen Gründen Berufe mit ähnlicher Ausrichtung, aber unterschiedlicher Qualifikation zusammengefasst.

Beispielsweise sind Uhrmachergehilfen und Waffen- oder Maschinenbauingenieure in derselben Berufsgruppe ausgewiesen, auch wenn sie ganz unterschiedliche Tätigkeiten ausüben.

Institut der deutschen Wirtschaft

Wenn der Fachkräftemangel berechnet werde, sei es deshalb wichtig, nicht nur Berufsgruppen, sondern auch Berufe und ihr Qualifikationsniveau zu betrachten.

Das IW betonte: Für eine halbe Million Stellen fehlen passende Bewerber. Ohne Helfertätigkeiten zu berücksichtigen, hätte es Dezember 2022 keine passend qualifizierten Bewerber gegeben. Demnach habe es in 959 von etwa 1.300 Berufen mehr offene Stellen als Arbeitslose gegeben.

Das Bundesarbeitsministerium berief sich in seiner Antwort dagegen auf Daten aus dem Jahr 2021 und kam zu dem Ergebnis: Für rund 148 von knapp 1.200 Berufsgattungen gebe es Engpässe bei den verfügbaren Arbeitskräften.

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