Wehrpflicht-Debatte: High-Tech-Armee oder militärischer Drill für ganze Generation?

Wehrminister Boris Pistorius (SPD, hier u. a. mit US-Botschafterin Amy Gutmann, r.) kann sich eine Rückkehr zur Wehrpflicht vorstellen. Foto: U.S. Secretary of Defense / CC-BY-2.0

Nicht allen Wehrpflicht-Gegnern geht es um den Weltfrieden. Innerhalb der Ampel-Parteien gilt dies als Frage der Professionalität. In einzelnen Punkten argumentieren Teile der FDP und Friedensbewegte aber ähnlich.

In den Parteien der Ampel-Koalition gibt es offenbar Meinungsverschiedenheiten über die Frage, ob eine hochprofessionelle High-Tech-Armee ohne Wehrpflichtige auf die Dauer besser wäre als der Versuch, möglichst große Teile der jungen Generation einzuspannen und gegebenenfalls auch im großen Stil eigene Staatsbürger an die Front zu schicken.

Nachdem SPD-Chefin Saskia Esken schon vor knapp einem Jahr einen Schlussstrich unter die Debatte ziehen wollte, hat nun vergangene Woche der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die 2011 erfolgte Aussetzung der Wehrpflicht als Fehler bezeichnet. Er schmiedet aber angeblich keine konkreten Pläne für eine Wiedereinsetzung.

Der FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner ist strikt dagegen. "Die Wehrpflicht steht für die FDP überhaupt nicht zur Debatte. Das ist eine Gespensterdiskussion." Alle Kraft müsse darauf konzentriert werden, "die Bundeswehr als hochprofessionelle Armee zu stärken", sagte Lindner laut einem Bericht der ARD-tagesschau am Dienstagabend.

Einen ganzen Jahrgang von der Ausbildung abzuhalten, würde angesichts des Fachkräftemangels "großen Schaden" in allen Bereichen der Wirtschaft verursachen, ist Lindner überzeugt. Auch habe die junge Generation durch die Pandemie "so viel verloren, dass jetzt nicht noch über eine neue Dienstpflicht spekuliert werden sollte".

Lindners Parteifreundin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, ist nicht ganz so strikt dagegen. Auch sie sprach zwar von schwerwiegenden Auswirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft im Fall einer Wiedereinführung der Wehrpflicht, betonte aber laut Agenturberichten und der Süddeutschen Zeitung auch: "Grundsätzlich gilt das Ende der Dienstpflicht ausschließlich in Friedenszeiten. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann sie wieder aktiviert werden." Ein "einfaches Ja oder Nein" sei "zu kurz gesprungen".

"Die Zeitenwende verlangt einen anderen Fokus"

FDP-Vize Johannes Vogel schrieb dagegen auf Twitter, eine Wehrpflicht lasse sich "mit Blick auf die Lage nicht rechtfertigen" und stehe sogar im Konflikt mit der Modernisierung der Bundeswehr. "Die Zeitenwende verlangt einen anderen Fokus", befand er.

Militärexperten geben immer wieder zu bedenken, dass moderne Waffensysteme komplexer als frühere seien. Dafür würden Spezialisten benötigt. Dies könne die Wehrpflicht kaum leisten.

Der Reservistenverband plädiert unterdessen klar für eine Wiedereinführung: Deutschland sei ohne Wehrpflicht nicht zu verteidigen, sagte Verbandspräsident Patrick Sensburg dem TV-Sender Welt. Rund 200.000 Soldaten und 100.000 Reservisten reichten für den Ernstfall nicht aus.

Die Linksfraktion im Bundestag kritisiert dagegen die gesamte Diskussion – nicht nur mit Blick auf die Frage der Professionalität der Bundeswehr. Vielmehr stellt sie nach wie vor Sinn und Zweck militärischer Lösungsansätze in Frage, da es in absehbarer Zeit nicht um Landesverteidigung gehen dürfte.

"Es vergeht kein Tag, an dem sich nicht irgendein Vertreter von SPD, FDP, Grünen oder Union findet, der mit einem neuen Eskalationsvorschlag um die Ecke kommt: Panzerlieferungen, Kampfjets, jetzt die Wiedereinführung der Wehrpflicht", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Jan Korte, mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Die Wehrpflicht in Deutschland auszusetzen, sei kein Fehler gewesen, sondern ein zivilisatorischer Fortschritt.

"Zwangsdienste erziehen zur Unmündigkeit"

Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) fühlt sich durch die aktuellen militärpolitischen Debatten allerdings um 70 Jahre zurückversetzt. Ihr politischer Geschäftsführer Michael Schulze von Glaßer argumentiert gegen den Zwangsdienst teilweise ähnlich wie Lindner, sieht aber im Gegensatz zu FDP-Kreisen keine Notwendigkeit einer hochgerüsteten High-Tech-Armee.

Auch Schulze von Glaßer verwies am Mittwoch darauf, dass die Einschränkungen während der Corona-Pandemie junge Menschen besonders hart getroffen hätten und zudem eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht in Zeiten es Fachkräftemangels "unsinnig" sei.

"Zwangsdienste erziehen zur Unmündigkeit, Unterordnung und passen nicht zu einer Demokratie und Gesellschaft, in der freiheitliche, tolerante und soziale Menschen miteinander leben sollen", erklärte er. "Die Reaktivierung des Kriegsdiensts in Deutschland wäre politisch ein fatales Zeichen an andere Länder und würde die Aufrüstungsspirale weiter anheizen – wenn Deutschland seine Jugend fit für die Kriegsführung macht, könnten sich auch andere Länder dazu bemüßigt fühlen."

Die AfD fordert unterdessen eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht in Deutschland, zugleich aber ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine. Tenor ihres Obmanns im Verteidigungsausschuss im Bundestag, Rüdiger Lucassen: Deutschland solle sich auf die eigene Wehrhaftigkeit konzentrieren, in der Ukraine drohe durch westliche Waffenlieferungen nur ein "ruinöser Abnutzungskrieg".