Schwedens Bandenkrieg "schlimmer und schlimmer"

Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist auf dem Tiefpunkt. Symbolbild: stux auf Pixabay (Public Domain)

Organisierte Kriminalität erschüttert das skandinavische Land. Die Regierung gerät dadurch in Bedrängnis. Als Konsequenz sollen Datenschutz gelockert und Strafen verschärft werden.

"16 Schießereien und elf Bombenanschläge allein in Stockholm. Es ist schlimmer und schlimmer geworden", bilanzierte Schwedens Premierminister Ulf Kristersson bereits am Donnerstag auf einer Pressekonferenz.

Angesichts der ausufernden Bandenkriminalität stellte der bürgerliche Politiker ein Maßnahmenpaket vor. Unter anderem soll der Datenschutz gelockert werden. Schulen und Sozialbehörden werden bald berechtigt sein, der Polizei mehr Informationen über Gewalttäter, die häufig noch minderjährig sind, zukommen zu lassen. Hinzu kommen Strafverschärfungen für die Taten, die im Rahmen von organisierter Kriminalität verübt werden.

Die Zahlen von besagter Pressekonferenz waren schnell überholt – in der Nacht auf Freitag wurde auf ein Mehrfamilienhaus im Norden Stockholms ein Sprengstoffanschlag verübt, Personen kamen glücklicherweise nicht zu Schaden. Doch im vergangenen Jahr kostete der Bandenkrieg mehr als 60 Menschenleben.

Nach Medienberichten wird derzeit in der Hauptstadt um den Drogenmarkt in der nordschwedischen Stadt Sundsvall gestritten, dabei handle es sich um die Rivalität zwischen "dem kurdischen Fuchs" und "dem Griechen". Beide sollen vom Ausland aus die Anschläge und Schießereien orchestrieren.

Kronzeugenregelung, Strafverschärfung, schnelle Abschiebungen

"Was wir vor den Wahlen gesagt haben, müssen wir nun umsetzen", versicherte Kristersson in Anspielung auf den Wahlkampf vor dem Urnengang im September. Die neuen Regierungsparteien wollten mit der Ablösung der Sozialdemokraten auch einen Paradigmenwechsel in der Kriminalitätsbekämpfung wahrmachen.

Kronzeugenregelung, Strafverschärfung und schnelle Abschiebungen sollen das Sicherheitsgefühl und das Vertrauen in den Staat wieder herstellen. Doch bislang konnten keine Ergebnisse präsentiert werden.

Kristersson, der der wirtschaftsliberalen Partei "Die Moderaten" angehört, trat mit den Chefs seiner beiden Koalitionsparteien, Ebba Busch (Christdemokraten) und Johan Pehrson (Liberale) auf, sowie mit Jimmie Akesson, dem Chef der rechten Schwedendemokraten.

Die populistische Partei ist nicht offiziell Teil der Minderheitsregierung, toleriert sie jedoch. Dabei treten die migrationsfeindlichen Schwedendemokraten immer selbstbewusster auf, denn die Banden, die ihren Kampf um Drogenreviere ausfechten, bestehen vornehmlich aus Menschen mit ausländischen Wurzeln.

Die Sozialdemokraten regierten zuletzt acht Jahre lang. Davon war Stefan Löfven siebeneinhalb Jahre in der Verantwortung, er wurde im Dezember 2021 von Magdalena Andersson abgelöst. Die Partei gilt als Hauptverantwortliche für die Misere, zweimal versuchte die bürgerliche wie rechte Opposition vergeblich den Justizminister mittels Misstrauensvotum aus dem Amt zu kippen.

Stefan Löfven gestand erst kurz vor dem Ende seiner Amtszeit ein, dass die Kriminalität auch mit dem kulturellen Hintergrund der Migranten zu tun habe. Überhaupt musste sich die schwedische Traditionspartei von vielen Glaubenssätzen trennen.

Nur noch 23 Prozent vertrauen der Regierung

So musste zum Ende des Flüchtlingsjahres 2015 die großzügige Einwanderungspolitik geändert werden, da die Kapazitäten nicht mehr ausreichten. Das alte Mantra des Fürsorgestaats, dass man dem Menschen nur genügend soziale Unterstützung anbieten müsse, um seine Probleme zu lösen, bekam Risse.

Auch folgten Strafverschärfungen sowie verschiedene Polizeimaßnahmen, um die Kriminalität zurückzudrängen. Untätig, wie ihr oft vorgeworfen wurde, war die sozialdemokratische Regierung nicht.

Nun wird Ulf Kristersson jedoch primär in der Verantwortung gesehen – seine Popularitätswerte sanken jüngst um acht Prozent. Nur noch 23 Prozent der Bevölkerung haben laut Umfragen Vertrauen in die Regierung.

Junge Täter, schlechte Aufklärungsquote

Schockierend ist für die schwedische Öffentlichkeit, dass die Täter so jung sind - um die Hälfte der Verdächtigen seien unter 18 Jahre alt. Oft werden sie selbst mit dem Tode bedroht, wenn sie die Attacke nicht ausführen wollen, wie Hanna Paradis, die Polizeikommandantin von Stockholm, kürzlich erklärte. Den minderjährigen Delinquenten droht dann eine relativ milde Jugendstrafe.

Schon 13- bis 14-Jährige würden sich als Auftragsmörder anbieten, wusste kürzlich eine Polizistin im öffentlich-rechtlichen Sender SVT zu berichten. Als "Anreiz" gilt auch die sinkende Aufklärungsrate. Seit 2015 geht sie kontinuierlich zurück. Im Jahr 2022 konnte die Polizei nur jeden fünften Mordfall aufklären. "Als Konsequenz sieht das Bandenumfeld den Mord als risikoloses Unternehmen an", so der Kriminologie-Dozent Amir Rostami.

Die Gründe für die eskalierende Gewalt sind vielfältig und umstritten. Fest steht, dass sich in Schweden über die Jahre in manchen Vierteln eine Art Ghetto-Tendenz herausgebildet hat, dass die Bewohner mit ausländischen Wurzeln in trostlosen Vorstädten unter sich bleiben und ihre eigenen Regeln schaffen.

Oft, so der kurdischstämmige Ökonom Tino Sanandaji gegenüber dem Autor dieser Zeilen, werde Migranten von der schwedischen Aufnahmegesellschaft zu wenig zugetraut, was Frustration schaffe, wie auch zu viel Bürokratie.

Die Sozialdemokraten, die im Verbund mit drei anderen Parteien im September nur knapp geschlagen worden sind, verweisen auf das Problem der "Einsteiger". Die aktuelle Regierung tue zu wenig gegen die "Rekrutierung" neuer Gangmitglieder in den Schulen, wo bereits Achtjährige als Drogenkuriere angeworben werden, und investiere nicht in vorbeugende Maßnahmen.

Auch soll etwas gegen die "Segregation" getan werden, gegen das isolierte Wohnen in den Vororten – ein Langzeitprojekt.

Auch die am Donnerstag vorgeschlagenen Maßnahmen würden nach Aussage von Ulf Kristersson, "Zeit brauchen". Doch die Bevölkerung, vor allem die Wähler der Schwedendemokraten, werden nicht mehr lange geduldig sein. Auch Jimmie Akesson, der immer wieder mit Law-and-Order-Sprüchen wirbt, verlor schon fünf Prozent Glaubwürdigkeit in den Umfragen.

Um sein Ansehen Volkstribun und Garant für ein sicheres Schweden nicht zu gefährden, wird er bald Ergebnisse präsentieren müssen. Als Alternative bleibt ihm, ein Zerwürfnis mit der Minderheitsregierung anzuzetteln, die nicht genug durchgreife.

Das Ausmaß der Bandenkriminalität entscheidet wohl über die Überlebenschance der schwedischen Regierung unter Ulf Kristersson.