Bleibt das Neun-Euro-Ticket doch noch erhalten?

Bild: Anja auf Pixabay

Die Wahl in Berlin am kommenden Wochenende ermöglicht, über die bundesdeutsche Verkehrspolitik abzustimmen. Eine Partei tritt mit einem kontroversen Vorschlag hervor.

Wen interessiert schon, ob Franziska Giffey ihren Doktortitel behält oder ihren Bürgermeistertitel abgeben muss? Wen interessiert schon, ob es eine Schwarz-Grüne Koalition in der Hauptstadt gibt, oder eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün?

Die Grünen werden in jedem Fall mitregieren und die Verkehrspolitik in der Hauptstadt wird sich weiter im Schneckentempo verändern, nachdem die Berliner Chaos-Wahl vom 26. September 2021 wiederholt wurde.

Tatsächlich bietet sich am kommenden Sonntag aber immerhin die Chance, die kommende Regionalwahl in eine Abstimmung über die größte Revolution im vergangenen Jahrzehnt in der deutschen Verkehrspolitik umzumünzen. Zumindest die Bürger der Hauptstadt könnten doch noch eine Initiative verwirklichen, die, glaubt man bundesweiten Umfragen, eindeutig dem Mehrheitswillen der deutschen Bevölkerung entspricht.

Dabei geht es um das Neun-Euro-Ticket.

In verschiedenen Umfragen hat sich eine klare Mehrheit der Deutschen, 55 bis 60 Prozent – und laut Autolobby ADAC sogar eine Mehrheit der deutschen Autofahrer –, eine Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets oder eine adäquate Nachfolgeregelung gewünscht.

Föderalismus verhinderte Innovation

Einmal mehr hat jedoch der bundesrepublikanische Föderalismus eine solche verkehrspolitische Innovation verhindert: Vor allem, weil die Bundesländer gemauert haben, kommt es nicht zu einer tatsächlichen Nachfolgeregelung, sondern nur zu einer Weiterführung zu einem um 500 Prozent erhöhten Preis.

Das euphemistisch – und weitere Erhöhungen bereits vorwegnehmend – "Deutschland-Ticket" genannte 49-Euro-Ticket stößt auf deutlich weniger Zustimmung und Nachfrage.

Das 49-Euro-Ticket gilt vielen Experten als zu teuer, um eine echte Verkehrswende einzuleiten, und stößt bei Sozialverbänden auf Kritik. In vielen Kommunen gibt es überdies längst günstigere Regelungen: In Tübingen 15 Euro, in Berlin 29,90 Euro oder neun Euro in Hamburg.

"FCK 49-Euro-Ticket"

Jenseits der etablierten und aller Wahrscheinlichkeit nach weiter regierenden Parteien gibt es tatsächlich eine Partei, die sich nicht nur für das 9-Euro-Ticket einsetzt, sondern es bereits in die Tat umgesetzt hat: Es ist die längst über das Image der Satire-Partei hinausgewachsene PARTEI.

"FCK 49-Euro-Ticket" steht auf der aktuellen Homepage der PARTEI. Sie sichert damit den deutschlandweiten ÖPNV weiterhin für unter 10 Euro. Auf unbegrenzte Zeit. Dieses neue Neun-Euro-Ticket ist tatsächlich eine Übernahme und Fortführung des im Herbst 2022 ins Leben gerufenen "9-Euro-Fonds".

Dieser wurde zunächst als Studenteninitiative gegründet und wuchs nach Angaben von PARTEI-Chef Martin Sonneborn der Initiative "über den Kopf". "Dadurch, dass der "9-Euro-Fonds" Teil der PARTEI wird, ist er besser geschützt gegen rechtliche Angriffe", sagte Leo Maurer, einer der Initiatoren, gegenüber der taz.

"Tausende Leute freikaufen, die im Gefängnis sitzen."

Das neue Neun-Euro-Ticket funktioniert, so Sonneborn im YouTube-Talk-Format von Gregor Gysi folgendermaßen:

Man zahlt neun Euro ein, und ... sie können sich für einen Monat mit dem öffentlichen Nahverkehr bewegen. Wenn man erwischt wird, zahlt der ‚9-Euro-Fonds‘ die Strafe. ... Wenn wir Gewinn machen, werden wir mit diesem Geld – da bekommen wir aus der Parteienfinanzierung für jede Neun-Euro-Zahlung in zwei Jahren noch mal 8,50 Euro obendrauf –, und diesen Gewinn werden wir dahingehend investieren, dass wir Leute freikaufen, die wegen sogenannter Beförderungserschleichung im Gefängnis sitzen. Das sind nämlich Tausende.

Versicherung gegen Schwarzfahren

Die Einbindung des Fonds in die Parteienfinanzierung ist dabei eine besonders innovative Idee. Die "Bewegung" im öffentlichen Nahverkehr, von der Sonneborn spricht, wird ganz bewusst nicht "Schwarzfahren" genannt. Ansonsten handelte es sich um eine Aufforderung zur Straftat. Das wäre rechtswidrig.

Auf der Website heißt es darum deutlich an verschiedenen Stellen: "Wir rufen nicht dazu auf, ohne gültigen Fahrschein zu fahren, aber wenn du in dem Monat, indem du deine 9 € an den Fonds gezahlt hast, mit dem Bus, der U-Bahn oder der Tram gefahren bist, übernehmen wir dein erhöhtes Beförderungsentgelt. Auch mehrfach."

Es gibt zusätzlich auch die Möglichkeit, einen Aufkleber mit der Aufschrift "Ich fahre ohne Fahrschein" zu tragen. Dies kann – und hat in einigen Gerichtsverfahren schon funktioniert – den Vorwurf der Leistungserschleichung zu entkräften.

Bei diesem "Fahren ohne Fahrschein" ("Erschleichen von Leistungen") handelt es sich übrigens um den § 265a StGB, der erst während des "Dritten Reichs", am 1. September 1935, in das deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. Jan Böhmermann hat über diesen "Naziparagrafen" bereits eine Sendung gemacht.

Man hat des Weiteren ausgerechnet, dass man allein mit dem Abbau des Dienstwagenprivilegs den Bürgern jedes Jahr in drei Monaten des Jahres ein Neun-Euro-Ticket finanzieren könnte.

"Ich zahle nicht!"

Ein weiterer wichtiger Unterschied dieser de facto Schwarzfahrerversicherung zum Neun-Euro-Ticket der Bundesregierung besteht darin, dass sich der "9-Euro-Fonds" nur auf den ÖPNV bezieht und nicht für den Regionalexpress der Bahn gilt, in dem wesentlich häufiger Fahrscheinkontrollen durchgeführt werden.

Über 8.000 Menschen haben nach Angaben der Initiative bisher in den Fonds eingezahlt, in rund 450 Fällen wurde bislang ein Strafgeld übernommen.

Der Fonds soll die politische Forderung hochhalten, und nebenbei auch Menschen unterstützen, die sich ein normales Ticket nicht leisten können. Die aktivistische Initiative macht auch darauf aufmerksam, dass es für Bagatelldelikte derzeit in Deutschland keine vernünftigen Regelungen gibt.

Es gibt dazu auch internationale Vorbilder: Planka.nu in Schweden verwirklicht die Idee der Freifahrtversicherung schon seit 2001; in Spanien heißt das Konzept "Yo no pago" – "Ich zahle nicht!".

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