Ukraine-Krieger: Ein Abend mit Anton Hofreiter

Setzt heute voll auf militärische Lösungen und blendet aus, was nicht ins Bild passt: Anton Hofreiter. Foto: Roland Bathon

Der grüne Hardliner in Sachen Waffen für die Ukraine hielt einen Vortrag in Schweinfurt – quasi vor der Haustür unseres Autors. Der ging natürlich hin. Eine Diskussion im eigentlichen Sinn wurde daraus nicht.

Wenn mit Anton Hofreiter schon einmal einer der bekanntesten Verfechter der Lieferung von Offensivwaffen in den Ukraine-Krieg in der direkten Nachbarschaft zu Gast ist, sollte man hingehen. Und so war ich dort, um mir die Argumente eines kompromisslosen Politpromis in der Auseinandersetzung mit Russland anzuhören.

Auch wenn ich Zweifel hatte, dass es sich wirklich, wie die örtlichen Grünen suggeriert hatten, um eine offene Diskussionsveranstaltung mit dem Vorsitzenden des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Bundestag handeln würde.

Passend von einem Truppenübungsplatz in der Nähe gekommen, wo gerade wohl ukrainische Soldaten ausgebildet werden, war denn Hofreiter auch pünktlich da. Obwohl man dort auch mutmaßlich russische Drohnen gesichtet habe, wie der örtliche Grünen-Chef feststellte.

Neben ihm und Hofreiter gab es am Veranstaltungsort viel Bereitschaftspolizei, eine kleine Gegendemo aus dem "Querdenker"-Umfeld, ein paar linke Friedensbewegte mit Handzetteln vor dem Eingang und mehrere Hundert Interessierte im Raum.

Nur ins Bild passende Fakten erzählt

Hofreiter legte auch gleich los und schilderte dem Publikum seine Sicht auf den von Russland begonnenen Ukraine-Krieg. Dabei arbeitete er durchaus mit Fakten, die die aktuelle Lage im Kriegsgebiet realistisch darstellen – das Unrecht der russischen Invasion in den Nachbarstaat und Kriegsverbrechen der russischen Armee.

Anders als etwa die gegnerischen Propagandisten des Kreml arbeiten überzeugte grüne Moralisten, die maximale Gegnerschaft zu Russland ohne Rücksicht auf das Eskalationspotential für die einzig richtige Position halten, nicht mit Fake-News.

Dennoch bot Hofreiters Vortrag kein ausgewogenes Lagebild – denn es ist immer eine wichtige Frage, welche Fakten man ausbreitet und welche man unter den Tisch fallen lässt.

So ist es Hofreiters Überzeugung, dass Russlands Präsident Putin von Beginn seiner Regierungszeit an auf eine Eskalation abzielte, wie sie nun mit der Ukraine-Invasion geschehen ist, um ein neues Russisches Reich zu errichten. Als Belege für frühe imperiale Machtambitionen des Kreml nennt Hofreiter den Tschetschenien-Krieg und den gegen Georgien im Jahr 2008.

Nicht ins Bild dieser Beweisführung passt, dass Russland in Tschetschenien separatistische islamische Fundamentalisten bekämpfte, die für die gesamte Kaukasusregion ein gewaltiges Sicherheitsrisiko darstellten. Oder dass die aktiven Feindseligkeiten 2008 eben nicht Russland begann, sondern der vom Westen massiv unterstützte georgische Präsident Saakaschwili.

So ist der Georgien-Krieg eher ein Lehrbeispiel dafür, wozu die gegenseitige Feindschaft des Westens und Russland führen kann, als ausschließlich eines für russisches Aggressionspotential.

Die einseitige Präsentation von Fakten zum gewünschten Bild zeigte sich in Hofreiters Ausführungen auch bei ganz aktuellen Themen. So pries er in höchsten Tönen die EU-Nachbarn in Polen, im Baltikum und in Finnland als vorausschauende Freunde, die schon die Bösartigkeit Russlands begriffen hätten, als die Deutschen nach seiner Meinung noch naiv aus Moskau Erdgas eingekauft hätten.

Gleich darauf legte er auf eine Zuschauerfrage hin Wert darauf, dass auch russische Deserteure in Deutschland mit offenen Armen empfangen werden, sollte es sich nicht um Kriegsverbrecher handeln.

Zwischen beiden Aussagen fehlt das entscheidende Puzzleteil, dass gerade Polen, die baltischen Staaten oder Finnland mit einer rigorosen Einreisesperre für russische Staatsbürger verhindern, dass Nichteinverstandene und Verfolgte aus Russland überhaupt in die EU einreisen können.

Finnland hat vor wenigen Wochen sogar generell klargestellt, die Flucht vor dem russischen Militärdienst als Asylgrund nicht mehr anerkennen zu wollen. Lettland hat den oppositionellen, aus Russland geflüchteten TV-Sender Doschd mit eigenen Repressionen belegt und weiter in die Niederlande vertrieben.

Hier genügen Hofreiters "Vorbilder" nicht wirklich den von ihm postulierten Moralvorstellungen. So fehlten in seinem Vortrag wie an anderen Stellen die Teilaspekte, die aus der von ihm dargebotenen Schwarz-Weiß-Welt aus guten Freunden und bösen Russen die Realität mit viel mehr Graustufen machen. So nahe am Schwarz die russische Politik aktuell auch sein mag.

Auch die Russland-Expertise von Hofreiter hat Lücken, die sich im Vortrag zeigten. Den Menschen dort würde seit Jahren von ihrer Regierung vorgegaukelt, dass Demokratie schlecht und nichts für ihr Volk sei, erzählte er dem Publikum. Das entspricht nicht der Realität. Zwar hat tatsächlich Russland schon sehr lange ein wachsendes Demokratiedefizit.

Dieses wurde jedoch bis zum Kriegsbeginn nicht "offen" als russische Errungenschaft gepredigt, sondern versucht zu kaschieren, indem man mit viel Aufwand unfaire und manipulierte Wahlen als Demokratie darstellte. Noch heute wird dieser Anschein bei zunehmend totalitären Zuständen durch angeblich oppositionelle Systemparteien gewahrt.

Leichtes Spiel mit radikalen und emotionalen Gegnern

Trotz all dieser Lücken beherrschte Hofreiter auf der Veranstaltung im Bündnis mit der örtlichen Grünen-Leitung das Feld. Sehr einfach machten es ihm dabei radikalere Gegner der Grünen aus der örtlichen AfD und dem "Querdenker"-Bereich, die nicht etwa Hofreiters Einseitigkeit sachlich hinterfragten.

Stattdessen betrieben sie mit emotionalisierten Spontanreferaten mehr Selbstdarstellung, als sich mit den Ausführungen des Referenten ernsthaft zu beschäftigen.

Politprofi Hofreiter hatte es nach solchen Selbstentlarvungen leicht, scharfe Kritik am Russland-Kurs der Grünen generell in die Nähe von Corona-Leugnern, Rechtsradikalen und Verschwörungsideologen zu rücken, obwohl auch im Saal nicht alle kritischen Stimmen aus diesem Bereich stammten. Besorgte kamen sogar aus den Reihen der grünen Basis.

Am Ende erlaubte die Veranstaltungsleitung angesichts der Statements entsprechender Aktivisten jedem aus dem Publikum nur eine einzige Frage an Hofreiter. Wer diese "verbraucht" hatte, war dazu verdammt, dem Geschehen stumm zuzusehen.

Tatsächlich stellt sich die Frage, inwieweit rechte Akteure als angebliche "Stimme des Volkes" den Diskurs übernommen hätten, wenn die grünen Veranstalter weniger rigoros Diskussionsbeiträge aus dem Publikum eingedämmt hätten. Allerdings entsprach das Geschehen dadurch am Ende nicht mehr einer "Diskussion" mit Hofreiter, sondern eher einem Vortrag mit anschließender Fragemöglichkeit – jeder nur einen Gutschein.

Die Gegnerschaft zu Rechtsradikalen machte es für Hofreiter auch in Schweinfurt einfach, für den grünen Teil des Publikums die Stimme der moralischen Überlegenheit überzeugend darzustellen. Seine Metamorphose vom jugendlichen Pazifisten zum moralisierenden Hardliner im notfalls militärischen Kampf gegen das Böse aus Moskau (oder von woanders) ist abgeschlossen.

Umgekehrt geben ausgerechnet die Grünen mit dieser Politik Menschen, die sich einfach nur Frieden wünschen, das Gefühl, schon fast als unmoralisch zu gelten, während die, die sich selbst auf der richtigen Seite sehen, fortwährend nach immer mehr Waffen rufen, wie es der Journalist Sebastian Friedrich in einem Beitrag für das Wochenmagazin Der Freitag richtig ausdrückt.

Zurück bleibt auch nach einem Event wie Hofreiters Vortrag in Schweinfurt das Gefühl, dass in einer Welt, wo der Wunsch nach Ausgleich falsch oder naiv sein soll, doch schon seit einiger Zeit etwas gehörig falsch läuft. Nicht nur in Russland.