Prigoschin-Angriff auf Putin-Elite: Hat der russische Nachfolgekampf begonnen?

Bild: Wagner-Anführer Jewgeni Prigoschin und der russische Präsident Wladimir Putin. Bilder: t.me/Prigozhin_hat / kremlin.ru

Wütender Wagner-Chef attackiert russische Oberschicht und die Kriegsführung. Das Machtgerangel scheint bereits gestartet zu sein. Warum die Unruhen weit über Moskau hinausreichen könnten.

Ist die Nach-Putin-Ära in Russland angebrochen? Wahrscheinlich noch nicht, es sei denn, es kommt zu einem unwahrscheinlichen Zusammenbruch der russischen Streitkräfte in der Ukraine.

George Beebe ist Direktor für Grand Strategy beim Quincy Institute.

Aber ein wütender öffentlicher Angriff auf Russlands Kriegsanstrengungen insgesamt und die russischen Eliten durch Jewgeni Prigoschin, den Anführer der privaten russischen Milizgruppe "Wagner", ist ein Zeichen dafür, dass einige russische Gruppierungen beginnen, sich für einen Kampf um die Nachfolge des Kremlchefs zu positionieren.

Sollte das Ringen in Kämpfen enden, könnte Prigoschin als Befehlshaber einer Privatarmee in einer starken Position sein. Außerdem hat Wagner gerade neues Prestige gewonnen, nachdem man die Führung in der blutigen und langwierigen, aber letztlich erfolgreichen Schlacht um die Stadt Bachmut übernommen hat.

Prigoschin steht der russischen Militärführung seit Langem kritisch gegenüber, beklagt sich öffentlich über deren Inkompetenz sowie Korruption und stellt ihre angebliche Passivität und Inkompetenz dem gegenüber, was er als Wagners Patriotismus und Tapferkeit bei der Verteidigung der Interessen des Mutterlandes in der Ukraine, Syrien und darüber hinaus darstellt.

Anatol Lieven ist Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute.

Sein jüngstes Interview auf dem Internetkanal Telegram markiert jedoch eine drastische Eskalation und Ausweitung seiner langjährigen Angriffe auf Verteidigungsminister Sergei Schoigu und das militärische Oberkommando. Er greift nun die gesamte Kriegsführung in der Ukraine an und erklärt deren bisherige Ergebnisse zu einem katastrophalen Fehlschlag.

Das kommt einem direkten Angriff auf Putin sehr nahe, auch wenn er den russischen Staatschef nicht namentlich kritisiert, sondern erklärt: "Mein politisches Credo ist: Ich liebe meine Heimat, ich gehorche Putin, Schoigu ist mir egal, wir werden [in der Ukraine] weiter kämpfen." In Prigoschins Worten:

Die militärische Spezialoperation wurde zum Zweck der "Entnazifizierung" gestartet, und wir haben die Ukraine zu einer Nation gemacht, die in der ganzen Welt bekannt ist. Sie sehen jetzt aus wie die Griechen oder Römer der Antike. Was [unsere Forderung nach] "Entmilitarisierung" der Ukraine angeht: Vielleicht hatten die Ukrainer zu Beginn des Spezialoperation 500 Panzer – nun haben sie 5.000 davon. Damals hatten sie 20.000 einsatzfähige Kämpfer, jetzt sind es 400.000. Haben wir sie also entmilitarisiert? Es zeigt sich, dass wir es waren, die die Ukraine sogar – wie immer wir das zum Teufel auch angestellt haben – militarisiert haben.

Indem er Schoigu und den Chef des Generalstabs, General Waleri Gerassimow, namentlich scharf anging, wiederholte Prigoschin seine früheren Forderungen nach deren Ablösung:

Das Hauptproblem liegt bei Schoigu und Gerassimow. Das sind zwei Leute, die uns durch ihre Entscheidungen in allen Dingen blockiert haben, trotz der Erklärung des Präsidenten, dass es genug Granaten gibt. Wenn heute [General Michail] Misinzew [der jetzt bei Wagner dient] Verteidigungsminister wird und [der ehemalige Kommandeur in der Ukraine General Sergej] Surowikin Generalstabschef, dann wäre das eine normale Struktur.

Prigoschins Angriff auf Schoigu und Gerassimow ist nicht neu. Neu ist, dass er das jetzt zu einer heftigen Kritik an den russischen Eliten im Allgemeinen ausweitet. Er sagte, dass die Kinder der Eliten "an den Stränden herumwackeln", während die Kinder der einfachen russischen Familien sterben.

Diese Zweiteilung [der Gesellschaft in Arm und Reich] kann wie 1917 mit einer Revolution enden, wenn zuerst die Soldaten aufstehen und danach ihre Angehörigen. .... Die Sattheit der Kinder der Eliten wird damit enden, dass die Leute sie mit Mistgabeln angehen werden. Ich empfehle der Elite der Russischen Föderation: "Ihr Hurensöhne, versammelt Eure Kinder, schickt sie in den Krieg, und wenn Ihr zu ihren Beerdigungen geht, dann werden die Leute sagen, jetzt ist alles gerecht."

Mit dieser Aussage scheint Prigoschin in die Anti-Korruptionsfußstapfen des seit 2021 in Russland inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny treten zu wollen. Im Gegensatz zu Nawalny, der versucht hat, seinen populistischen Appell mit starker Unterstützung aus den Vereinigten Staaten und Europa zu verbinden, nimmt Prigoschin die Korruption der Elite vom Standpunkt der nationalistischen Rechten aus ins Visier.