Wie Noam Chomsky Opfer eines Fake-News-Angriffs wurde

Noam Chomsky, 2017. Bild: Σ, CC BY-SA 4.0

Hat der 94-Jährige wirklich den russischen Krieg gegen die Ukraine beschönigt? Das berichtete eine britische Zeitung. Hier die wahre Geschichte. Der Telepolis-Leitartikel.

Dieser Beitrag über ein Interview mit dem US-amerikanischen Intellektuellen Noam Chomsky hat für Aufsehen gesorgt. Vor gut einem Monat, Ende April, erschien in der britischen Wochenzeitung New Statesman ein Text, in dem der inzwischen 94-jährige Chomsky das militärische Vorgehen Russlands in der Ukraine als vergleichsweise zurückhaltend bezeichnet haben soll. "Russland kämpft humaner als die USA im Irak", titelte das Blatt – doch das hatte Chomsky nie gesagt.

Dass dies zunächst nicht publik wurde, lag am New Statesman selbst. Die Redaktion stellte zwar den Text ihres Berliner Korrespondenten Ido Vock online, der mit Chomsky gesprochen hatte. Doch das Video des Interviews suchte man auf der Homepage vergeblich.

Inzwischen ist klar: Chomsky, ein exponierter Vertreter der US-Friedensbewegung, hat den Krieg Russlands gegen die Ukraine weder als "human" noch als "humaner" bezeichnet. Auch nicht, dass Russland militärisch "zurückhaltend und moderat" auftrete. Beide Aussagen, die Chomsky massive Kritik einbrachten, wurden ihm in den Mund gelegt.

"Wir haben keine Abschrift veröffentlicht, aber das vollständige Interview sollte als Podcast auf dem New Statesman World Review Feed verfügbar sein, wenn Sie es sich anhören wollen", schrieb Vock am 1. Mai auf Anfrage unserer Redaktion.

Tatsächlich erschien das Gespräch nur auf Youtube und nicht, wie sonst üblich, auf der Homepage der Zeitung selbst. Und während es auf der Videoplattform denselben manipulativen Titel trägt wie in der Printversion, wurde er für den Spotify-Podcast geändert. "Noam Chomsky: Don’t underestimate the risk of nuclear war", heißt es dort.

Video- und Audioversion aber belegen: Chomsky hat die angeblich skandalösen Aussagen nie getätigt. "Die Schlagzeile stammt nicht von mir, sondern von meinen Redakteuren", schrieb Vock dazu auf Telepolis-Anfrage. Die angebliche Aussage zum "zurückhaltenden und moderaten" Krieg Russlands "war meine redaktionelle Formulierung, kein Zitat".

Der vermeintliche Skandal um den Friedensaktivisten und US-Regierungskritiker Chomsky trifft also nicht ihn, sondern die Arbeit des "New Statesman", der seinen Interviewpartner entgegen jeder journalistischen Ethik und bar jedes Belegs in die Nähe des Kremls gerückt hat.

Nichts könnte Chomskys Positionen ferner liegen! In einem Interview mit dem Politikwissenschaftler C.J. Polychroniou, das Telepolis in Zusammenarbeit mit dem US-Magazin Truthout auf Deutsch veröffentlichte, sagte er bereits im November 2022:

Putin lehnte die Bemühungen des französischen Präsidenten Macron bis fast zur letzten Minute ab, Russland eine gangbare Alternative zur Aggression anzubieten. Er wies das Angebot am Ende mit Verachtung zurück – und schoss sich und Russland damit selbst ins Knie, indem er Europa in die Arme Washingtons trieb, was die USA sehnlichst erträumten. Neben dem Verbrechen der Aggression beging er (...) noch das Verbrechen der Dummheit.

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