Kriegstüchtigkeit als neue Norm an den Schulen: "Unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr"

Fallschirmjäger bei einer Übung. Bild (von 2012): Wir. Dienen. Deutschland. Flickr / CC BY-ND 2.0 Deed

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat einen neuen Marschbefehl: Mehr Uniform im Unterricht soll die Gedankenwende beflügeln. Kommentar.

Etwa fünf Jahre hat Deutschland Zeit, um "kriegstüchtig" zu werden, verkündete Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer Anfang Februar. Er meinte damit die Bundeswehr, aber nicht nur.

Da Kriegstüchtigkeit sehr viel mehr als Verteidigungsbereitschaft bedeute, gehe es auch um einen Mentalitätswechsel, erklärte der gelernte Pädagoge.

So sagte Breuer: "Neben der personellen und materiellen Einsatzbereitschaft geht es auch um den nötigen Mentalitätswechsel, dem wir uns unterziehen müssen." Nötig sei, eine "Gedankenwende, sowohl in der Gesellschaft als auch und vor allem in der Bundeswehr".

Kriegstüchtig angesichts der russischen Bedrohung

Zusätzlich zur "alternativlosen Raketenabwehr", die in fünf bis acht Jahren aufgebaut sein soll, wie Breuer aktuell statuiert, weil Russland in diesem Zeitfenster befähigt sei, einen Krieg gegen Nato-Staaten führen zu können, sollte auch die gesellschaftliche Basis für einen Krieg stehen, so lässt sich der Appell des Generalinspekteurs verstehen.

"Kriegstüchtig" wird von Langenscheidt im Englischen mit "fit for war", bzw. "combat-ready" wiedergegeben. Für Französisch muss das beliebte Wörterbuch passen: "Die Übersetzung für 'kriegstüchtig' fehlt."

Das mag daran liegen, dass das deutsche Wort "tüchtig" zu jenen gehört, die sich schwer in eine andere Sprache übersetzen lassen. Man könnte auch sagen: Hier liegt eine deutsche Besonderheit vor.

Spezifisch deutsch: Die Angst

Wer von "Kriegstüchtigkeit" spricht, muss durch einen spezifisch deutschen Trichter. Das hat kürzlich die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schon beim Thema Vorbereitungen auf Katastrophen erfahren. Sie sagte:

In anderen Ländern – ich habe einige Jahre in Großbritannien gelebt – geht man viel natürlicher mit dem Thema um. Dort gehören Übungen für den Katastrophenfall an Schulen zum Alltag. Davon können wir lernen.

Bettina Stark-Watzinger (FDP)

Daraus wurde der Satz: "Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat sich für Zivilschutzübungen an Schulen ausgesprochen." (MDR). Dem folgten Bedenken mit Angst im Titel: Macht Zivilschutz an Schulen unnötig Angst – oder nicht?

Das war aber gar nicht der große Aufreger.

"Auf den Kriegsfall vorbereiten"

Viel mehr Unruhe erregte Stark-Watzingers Einsatz für "Kriegstüchtigkeit". Man müsse "Schüler auf den Kriegsfall vorbereiten", brachte Die Welt weitere Aussagen der Bundesbildungsministerin auf den Punkt.

Sie rief die Schulen dazu auf, ein "unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr" zu entwickeln. "Ich halte es für wichtig, dass Jugendoffiziere in die Schulen kommen und berichten, was die Bundeswehr für unsere Sicherheit tut".

Deutschlandfunk

Vorbehalte diesbezüglich könne sie nicht nachvollziehen, ergänzt der Deutschlandfunk.

Mehr Uniformen an den Schulen lautet die praktische Übersetzung der Aussage von Stark-Watzinger. Was heißt das? Mehr uniformiertes Denken als Staatsbürgerunterricht? wäre die zugespitzte Frage im besonderen deutschen Trichter. Brauchen das unsere Schülerinnen und Schüler?

Vorträge von Jugendoffizieren an Schulen

Die Süddeutsche Zeitung hat bereits Wochen vor den Äußerungen der Bundesbildungsministerin über Schulen und Bundeswehr berichtet. Im Artikel "Wenn der Soldat vor die Klasse tritt" wird berichtet, dass die Zahl der Vorträge von Jugendoffizieren an Schulen, außer zuzeiten der Corona-Pandemie, deutlich zugenommen habe:

"Von etwa 3000 Vorträgen im Jahr 2013 auf etwa 4300 im Jahr 2022. Die Zahl der dadurch erreichten Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat sich laut Bundeswehr von 90.000 auf 113.000 erhöht."

Es gebe Konzeptpapiere von Verteidigungspolitikern der CDU, die verpflichtende Besuche von Jugendoffizieren ab der 9. Klasse einführen wollen, letztlich mit dem Ziel, die Bundeswehr attraktiver zu machen. Der Armee fehlt es an Soldaten.

Mehr Berührungspunkte

"Die Bundeswehr müsse sichtbarer werden, mehr Berührungspunkte haben mit der Gesellschaft, am besten schon mit Schülerinnen und Schülern", das, so die SZ, höre man "immer wieder". Die Aussage steht im Kontext zur "Task Force Personal" der Bundeswehr, die sich um Bewerbungsmöglichkeiten kümmert und "auch den 'Zugang zu Schulen' aufgreife", wie die Zeitung einen Sprecher des Verteidigungsministeriums zitiert.

Werbung?

Die Jugendoffiziere machen keine Werbung für die Bundeswehr an den Schulen, heißt es in Vereinbarungen - und in der Praxis? Es gehe um Öffentlichkeitsarbeit (also doch Werbung?). Es werde lediglich über Sicherheitspolitik gesprochen. Die SZ bringt einen Ausschnitt aus einem Gespräch mit einer Schülerin und einem Jugendoffizier:

Als Bartels in seinem Vortrag darüber spricht, was eine Mobilmachung im Verteidigungsfall für Deutschland bedeuten würde, meldet sich eine Schülerin: "Ich hab' das jetzt so verstanden, dass du dafür bist, dass Leute, auch wenn sie nicht sterben wollen, in den Krieg gezogen werden."

Bartels antwortet: "Natürlich macht es Sinn, im Verteidigungsfall die Möglichkeit zu haben, seine Streitkräfte zu stärken." In der ersten Phase würden wahrscheinlich erst einmal Freiwillige eingezogen.

"Und glaubst du, dass es genug Freiwillige geben würde, um Deutschland zu verteidigen?", fragt die Schülerin weiter.

"Ja, das glaube ich", sagt Bartels.

Die Schülerin schaut skeptisch.

SZ

Zuvor hatte der Jugendoffizier davon gesprochen, dass man sich schon fragen sollte, ob die Aussetzung der Wehrpflicht "damals so schlau war". Das sei aber nur seine persönliche Meinung.

Wie über den Ernstfall gesprochen wird

Was an diesem Ausschnitt aus der Realität des Schulauftritts eines Jugendoffiziers sichtbar wird, ist einmal, dass das "unverkrampfte Verhältnis", das Bettina Stark-Watzinger zwischen Schülern und Bundeswehr forcieren will, freilich nicht werbefrei ist. Die Bundeswehr soll näher an die Realität der Schüler heran und das auf einer Ebene, die die Härten des Kriegs in weite Ferne rückt.

So wird eine kühle Nonchalance bei den harten Fragen an den Tag gelegt. Auf die Frage, die auf Leben und Tod zielt, nämlich, "dass Leute, auch wenn sie nicht sterben wollen, in den Krieg gezogen werden", antwortet der Vertreter der Armee, dass es "natürlich" "Sinn mache", "im Verteidigungsfall die Möglichkeit zu haben, seine Streitkräfte zu stärken".

Brav. So einfach ist das? Man möge doch bei den jungen Ukrainern nachfragen, die mit dem Ernstfall konfrontiert sind, wie sie eine solche Antwort quittieren.

Schulen sollen den Jungen kritisches Denken nicht nur vermitteln, sondern sie dazu anhalten, und ihnen beibringen, wie und wo es ansetzt, und es zu praktizieren. Das ist das Ideal auch des staatsbürgerlichen Unterrichts.

Wie gehen Bundeswehroffiziere mit Feindbildern um, was vermitteln sie über die Genese von Konflikten und Feindbildern an den Schulen, was vermitteln sie vom Krieg?, wäre so eine Frage, die einem aufgrund solcher behördlicher Antworten wie die zitierte, in den Sinn kommt.

Das Gelände der deutschen Diskussion

Zumal in Deutschland. Da gibt es eine besondere Wahrnehmung dessen, was ein Krieg und Kriegsvorbereitungen bedeuten können. Abzulesen ist das auch an einem Erschrecken, wie es etwa Harald Welzer formuliert. Er hält die Debatten über Kriegstüchtigkeit für zu eindimensional und warnt:

Der Ruf nach Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit entspreche einer Haltung, die seit Jahrzehnten überwunden geglaubt schien.

"Shifting Baseline", so nennt der Sozialpsychologe diesen Vorgang, die "unbemerkte Veränderung von Wahrnehmung und Deutung", eine schleichende Verschiebung der gesellschaftlich akzeptierten Normalität.

Er habe das Phänomen der Shifting Baseline beispielsweise an der Gesellschaft der Weimarer Republik untersucht, erklärt Welzer. Diese habe sich innerhalb kürzester Zeit von einer bürgerlich geprägten Gesellschaft zu einer Ausgrenzungsgesellschaft entwickelt, so der Soziologe.

BR, 01.03.2024

Bettina Stark-Watzinger sprach sich übrigens auch für eine Öffnung von Hochschulen für militärische Forschung aus. Sie hält es für nicht mehr sinnvoll, dass sich manche Hochschulen eine Zivilklausel gegeben haben, "die militärische Forschung verhindern soll".

Das werde den nationalen Sicherheitsinteressen und dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten "nicht mehr gerecht".