Wehrpflichtige Ukrainer in Deutschland: Zwischen Schutzrecht und Kriegsdienstzwang

Der CSU-Politiker Florian Hahn will ukrainische Männer an die Front mobilisieren, ohne sie direkt abzuschieben. Archivbild: J. Patrick Fischer / CC-BY-SA-3.0

Kriegsdienstverweigerung kein anerkannter Asylgrund: Ukrainische Männer als Kriegsflüchtlinge hier. Wie CDU und CSU sie an die Front bewegen wollen.

Die Unionsparteien wollen wehrfähige Männer, die aus der Ukraine geflohen sind, zur Rückkehr bewegen – und damit an die Front. Als Druckmittel soll dabei der Entzug von Bürgergeld dienen.

Die ukrainische Regierung habe wehrfähige Männer zur Rückkehr aufgerufen, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), diese Woche der Berliner Zeitung. "Gleichzeitig haben die wehrfähigen Ukrainer in Deutschland vollständigen Anspruch auf Bürgergeld und über 125.000 beziehen dieses."

Seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 sind laut Ausländerzentralregister (AZR) 252.692 Männer aus der Ukraine nach Deutschland eingereist, die zum Stichtag 31. Januar 2024 im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren waren.

"Von diesen hielten sich nach Angaben des AZR zum 31. Januar 2024 noch 209.842 Personen in Deutschland auf", zitiert die Berliner Zeitung aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Petr Bystron. Aktuellere Zahlen gibt es demnach nicht.

Mehr als 150.000 wehrpflichtige Ukrainer in Deutschland?

Laut einem Bericht der Welt waren davon Ende Februar 159.512 Männer zwischen 27 und 60 Jahren alt - und somit wehrpflichtig in der Ukraine, sofern keine medizinischen Gründe dagegen sprechen.

Auf Asyl in Deutschland dürfen bisher aber nicht einmal russische Wehrdienstflüchtige hoffen – Ukrainer, deren Regierung von westlichen Nato-Staaten unterstützt wird, hätten es auf diesem Weg in individuellen Asylverfahren vermutlich eher noch schwerer als leichter.

Für ukrainische Kriegsflüchtlinge gilt in der EU aber bisher unabhängig von Alter und Geschlecht die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie: Ihnen steht "vorübergehender Schutz" und somit ein Aufenthaltstitel zu, ohne ein Asylverfahren zu durchlaufen.

Bürgergeld steht geflohenen Ukrainern durch Aufenthaltstitel zu

Mit dem Aufenthaltstitel ist auch der Anspruch auf Bürgergeld verbunden, während Asylsuchende gemäß Asylbewerberleistungsgesetz etwas weniger Geld erhalten – und in manchen Bundesländern in Zukunft kaum noch Bargeld, sondern den größten Teil des Regelsatzes in Form von Bezahlkarten. Bayern nimmt hier aktuell eine Vorreiterrolle ein und zahlt den Betroffenen demnächst nur noch 50 Euro in bar aus.

"Nach Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es im November 2023 rund 126.000 männliche Regelleistungsberechtigte nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Alter von 18 bis unter 60 Jahren mit ukrainischer Staatsangehörigkeit", teilte das Arbeits- und Sozialministerium auf Anfrage der AfD mit.

Deren Abgeordneter Bystron hält es für "bezeichnend", dass der französische Präsident Emmenuel Macron eine Debatte über westliche Soldaten in der Ukraine ausgelöst habe, aber niemand die "Rückführung" wehrpflichtiger Ukrainer in Deutschland fordere.

Gewissensfreiheit im Grundgesetz: Kein Zwang zum Kriegsdienst

Das deutsche Grundgesetz schützt in Artikel 4 die Gewissensfreiheit auch in Bezug auf das Recht, den Dienst an der Waffe zu verweigern: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden", heißt es in Artikel 4, Absatz 3.

Im Präzedenzfall des US-Deserteurs André Shepherd, der sich in den Nullerjahren dem weiteren Einsatz im Irak-Krieg entzogen hatte, haben deutsche Gerichte allerdings entschieden, dass die Abschiebung eines wehrdienstflüchtigen Ausländers trotz Berufung auf Artikel 4, Absatz 3 möglich ist.

Es sei denn, ihm droht Folter oder unmenschliche Behandlung. Der Wehrdienstzwang alleine oder eine drohende Freiheitsstrafe aufgrund der Gewissensentscheidung zählen demnach nicht als unmenschliche Behandlung und gelten somit nicht als Asylgrund.

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gemäß UNHCR

Der UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geht davon aus, dass ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Gewissensfreiheit vorliegt, wenn jemand wider sein Gewissen zum Kriegsdienst gezwungen wird.

Die Verpflichtung zum Ableisten eines Ersatzdienstes stelle dabei keine Bestrafung dar, heißt es. Staaten müssten ein Verfahren zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen garantieren und einen alternativen Dienst ermöglichen, heißt es in den Richtlinien des UNHCR. Eine Verpflichtung zum Ersatzdienst erlaubt auch das Grundgesetz.

Aufruf an wehrfähige Ukrainer war nur "Einladung"

Die ukrainische Regierung in Kiew verweist aber darauf, dass Soldaten an der Front fehlen. Im Dezember 2023 hatte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow im Gespräch mit der Bild wehrfähige Ukrainer in Deutschland zur Rückkehr und zur Teilnahme am Kampf gegen russische Invasionstruppen aufgerufen.

Zwangsmaßnahmen seien aber nicht geplant, hatte die ukrainische Regierung im Nachhinein betont. Es handle sich um eine "Einladung".

Ampel-Regierung erteilt Unionsplänen bisher Absage

Die Ampel-Bundesregierung hatte zumindest abgelehnt, die Betroffenen auszuliefern: "Dass wir nun Menschen gegen ihren Willen zu einer Wehrpflicht oder zu einem Kriegsdienst zwingen, das wird nicht der Fall sein", hatte Justizminister Marco Buschmann (FDP) im Dezember der Deutschen Presse-Agentur gesagt.

Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Alexander Müller, erklärte nun gegenüber der Berliner Zeitung, es sei zwar nachvollziehbar, dass die Ukraine neue Soldaten benötige und an ihre geflohenen Landsleute appelliere. Doch in Deutschland dürfe laut Grundgesetz niemand gegen seinen Willen Dienst an der Waffe verrichten.

"Es wäre unmenschlich, Menschen aus anderen Ländern dann dazu zu zwingen. Auch darf keine Diskriminierung männlicher Flüchtlinge zugelassen werden."