AfD und Co.: Die Revolte der Hoffnungslosigkeit

AfD-Rechsaußen Björn Höcke taugt für viele nicht mehr als Buhmann. Archivbild: PantheraLeo1359531 / CC-BY-SA-4.0

Wer eine bessere Welt für möglich hält, wird kaum rechte Parteien wählen. Daher hilft es nicht, das moralisch zu verurteilen. Was helfen könnte. Ein Kommentar.

Der Rechtspopulismus schreitet in ganz Europa von Triumph zu Triumph. Kaum irgendwo so sehr wie in Deutschland, wo die AfD drauf und dran ist, im Osten die stärkste und bundesweit mindestens zweitstärkste Partei zu werden.

An politische "Brandmauern" gegen die AfD glaubt kaum noch jemand, die Bildung von AfD-Koalitionsregierungen auf Landesebene ist in näherer Zukunft nicht unwahrscheinlich, auf Bundesebene zumindest nicht undenkbar.

Dieser Siegeszug der AfD ist einigermaßen verblüffend angesichts der Tatsache, dass die Partei ein Programm vertritt, das die Lebensbedingungen der großen Mehrheit der Bevölkerung ziemlich massiv verschlechtern würde.

Ein deutscher Volkssport: Wählen gegen die eigenen Interessen

Die AfD vertritt einen radikalen, noch härteren Neoliberalismus als die FDP, eine weitgehende Zerstörung des staatlichen Sozial-, Renten- und Gesundheitssystems und massive Begünstigung von Konzernen und Spitzenverdiener:innen.

Die Mehrheit derjenigen, die AfD wählen, sind aber keine Unternehmer:innen und Superreichen, die von ihrer Politik tatsächlich profitieren würden, sondern Lohnabhängige, Rentner:innen, Arbeitslose, kurz: Menschen, die mit einer Stimme für die AfD die Senkung ihres eigenen Lebensstandards und Prekarisierung ihrer eigenen Existenz wählen.

Wie ist dieses Phänomen zu erklären, dass Millionen Arbeitende und Arme mit der Partei sympathisieren, die der arbeitenden Bevölkerung am feindlichsten gegenüber steht?

Hoffnungslos, aber mit Krawall: Motive zur AfD-Wahl

Ich denke, dass der Aufstieg des Rechtspopulismus im Allgemeinen und der AfD im Besonderen auf einem Gefühl beruht, das ich als "Revolte der Hoffnungslosigkeit" bezeichnen möchte. Was meine ich damit?

Die AfD verspricht nirgends, dass es ihre Absicht sei, das Leben von Lohnabhängigen und einkommensarmem Menschen besser zu machen – und dafür wird sie auch nicht gewählt. Der Rechtspopulismus spricht Menschen an, die die Hoffnung auf ein grundlegend anderes und besseres System, in dem ein besseres Leben für alle möglich ist, schon längst aufgegeben haben.

Verlorene Hoffnungen: Revolution vs. Reformen

Über Generationen hinweg hatten Arbeiter:innen und Arme eine politische Heimat in der kommunistischen und der sozialdemokratischen Bewegung. Kommunismus wie klassische Sozialdemokratie sind politische Bewegungen, die von Hoffnung, von Optimismus, von der Zuversicht auf eine andere und bessere Zukunft für alle getragen sind.

Die kommunistische Zukunftsvision ist eine revolutionäre: Wenn Lohnabhängige sich zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, können sie das sie ausbeutende und unterdrückende kapitalistische System zerschlagen und eine Welt echter Freiheit aufbauen, in der die Welt der arbeitenden Klasse gehört und sie selbst über ihr Schicksal bestimmt.

Diese revolutionäre Vision war besonders attraktiv in Gesellschaften mit scharfer Klassenspaltung und elenden Lebensbedingungen für einen großen Teil der arbeitenden Bevölkerung.

In den goldenen Jahrzehnten des "Wirtschaftswunders" der 1950er- bis 80er Jahre mit explosionsartig ansteigendem Massenwohlstand und Demokratisierung der Gesellschaft in den imperialistischen Mächten des Westens verlor die kommunistische Vision tendenziell an Attraktivität, dafür wuchs die der sozialdemokratischen Vision.

Gebrochene Versprechen der Sozialdemokratie

Diese sozialdemokratische Vision war eine reformistische: Wenn die Arbeiter:innen sich einerseits gewerkschaftlich organisieren und solidarisch für ihre ökonomischen Interessen kämpfen, sich andererseits gegenüber bürgerlichem Staat und Kapital im Prinzip loyal verhalten und revolutionären Ideen abschwören, dann werden Staat und Kapital Verständnis für ihre berechtigten Forderungen zeigen.

Dann, so die sozialdemokratische Vision, kann ihr Leben auch im kapitalistischen Rahmen schrittweise immer besser und gesicherter werden.

Spätestens seit den 1980er- und 90er Jahren kann bzw. will die Sozialdemokratie dieses reformistische Zukunftsversprechen aber nicht mehr einlösen.

Frustpotenzial: Sinkende Lebensstandards in Westeuropa

Seit Beginn der auch und gerade von der Sozialdemokratie mitgetragenen neoliberalen Wende – Stichworte: Mitterrand, Blair, Schröder, usw. – explodieren zwar die Vermögen der Oligarchie auf historisch beispiellose Rekordniveaus, der Lebensstandard der Masse der Bevölkerung aber stagniert oder sinkt.

Seit den 1980er-Jahren ist der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung in den meisten westlichen Gesellschaften kaufkraftbereinigt nur noch geringfügig gewachsen, oft ist er jahrelang sogar geschrumpft, und der Lebensstandard der untersten Schichten ist kaufkraftbereinigt vielerorts sogar konstant niedriger als vor rund 40 Jahren.

Der Lebensstandard Westeuropa ist im internationalen Vergleich immer noch hoch, aber es gibt für die allermeisten Menschen keine wirkliche Aufwärtsentwicklung mehr und für immer mehr im Gegenteil ein langsames Absinken.

Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Masse der westeuropäischen Bevölkerungen das Gefühl, dass ihr Lebensstandard langfristig eher sinken als steigen und das Leben ihrer Kinder schlechter als ihr eigenes sein wird.

Verfall und Pessimismus: Nährboden für AfD und Co.

Es herrscht eine nicht unberechtigte Stimmung des Verfalls und des Pessimismus. Diese Stimmung führt bei Millionen zu Wut und vage rebellischen Gefühlen, die aber von keiner Arbeiterinnenbewegung mit einer positiven Zukunftsvision mehr aufgegriffen werden.

Die kommunistische Bewegung hat sich in Westeuropa seit langer Zeit weitgehend aufgelöst, und die Sozialdemokratie ist heute eine verkommene, diskreditierte, im Grunde konservative Kraft im Dienst der Oligarchie wie christdemokratische Parteien und Liberale, die jede Äußerung von Unmut und Frustration als "populistisch" brandmarkt.

Dieses Vakuum nutzt der Rechtspopulismus

Dazu hat jahrzehntelange neoliberale Indoktrination in den Köpfen von Millionen Menschen jeden Gedanken an die bloße Möglichkeit eines grundlegend anderen und besseren Systems ausgelöscht.

In dieses politische Vakuum stößt der Rechtspopulismus. Er spricht all diejenigen an, die einerseits frustriert, wütend und latent rebellisch gestimmt über den von ihnen erfahrenen sozialen Verfall sind, die aber andererseits keinen Glauben an die Möglichkeit eines grundlegend anderen und für alle besseren ökonomischen Systems mehr haben.

Nach unten treten, aber vermeintlich auch nach oben

Diesen Menschen verspricht der Rechtspopulismus in erster Linie nicht "Wenn ihr uns wählt, wird euer Leben besser werden", sondern zwei andere Dinge. Einerseits: "Wenn ihr uns wählt, werden die arroganten und abgehobenen Eliten bestraft, die diesen Verfall zugelassen haben."

Andererseits: "Wenn ihr uns wählt, treten wir gesellschaftliche Randgruppen noch tiefer in den Dreck hinab, sodass du relativ über ihnen stehen wirst."

Das Versprechen des Rechtspopulismus ist eine Art sozialdarwinistischer Nihilismus: Die Welt ist grausam und hart und Visionen von einer besseren, humaneren und gerechteren Welt lächerliche Träumereien. Aber du kannst verhindern, am unteren Ende der Nahrungskette zu stehen, indem du andere noch unter dich hinab trittst – das zu tun, dafür sind wir da.