FDP-Vorwahlkampf: Mit Taurus, Brecht und Stahlgewitter über die Fünf-Prozent-Hürde?

Ist "Oma Courage" wie Brechts "Mutter Courage" eine skrupellose Kriegsgewinnlerin? Foto: © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Wirtschaftsliberale verzetteln sich im Kampfmodus. Kritik von ungewohnter Seite könnte sie hellhörig machen. Verkraften sie das jüngste Eigentor? Ein Kommentar.

Was täte die FDP eigentlich ohne einen äußeren Feind, vor dem sie der Bevölkerung Angst machen kann? – Wenn selbst Springers Welt auffällt, dass die Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, aus dem Thema Krieg eine "Ego-Show" macht, dann haben die Wirtschaftsliberalen wohl wirklich über ihr Ziel hinausgeschossen.

Springer-Medien sind nicht gerade für Kritik an rein militärischen Lösungsansätzen bekannt, sondern haben immer sehr schnell den Vorwurf der Feindbegünstigung erhoben, wenn Stimmen für einen Waffenstillstand und Verhandlungen im Ukraine-Krieg laut wurden und aus ihrer Sicht die russische Gefahr für ganz Europa heruntergespielt wurde.

FDP und die "Oma Courage": Kriegspropaganda im Wahlkampf?

Aber die FDP-Kampagne, mit der die militaristische Hardlinerin Strack-Zimmermann als "Oma Courage" angepriesen wird, ist der Welt-Chefreporterin Anna Schneider dann doch zu peinlich.

Muss hier irgendjemand nicht an Bertolt Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" denken?

Dunkel erinnert man sich an den Deutschunterricht, an die skrupellose Titelheldin, die sogar ihre Kinder opfert, um weiterhin vom 30-jährigen Krieg profitieren zu können.

Anna Schneider, Welt

Herausgeredet haben sich FDP-Kreise mit dem Spruch "Hast Du einen Opa, dann schick ihn nach Europa" – "Oma Courage" sollte demnach nur eine flotte Abwandlung sein, die daraus ein Kompliment für die 66-Jährige machen soll.

Verschwörungstheoretisch lädt der Sachverhalt zu Spekulationen ein: Waren sowohl die FDP-Verantwortlichen als auch Mitarbeitende ihrer Werbeagentur literarisch zu ungebildet, um das Eigentor zu erkennen – oder haben letztere der FDP aus heimlicher Antipathie ganz bewusst einen Bärendienst erwiesen?

Lobby-Kontakte von "Strack-Rheinmetall" zur Rüstungsindustrie

Strack-Zimmermann ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag und stand bereits 2022 wegen möglicher "Verflechtungen" mit der Rüstungsindustrie in der Kritik. Sie ist unter anderem Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik sowie beim Förderkreis Deutsches Heer. Beides Vereine, an denen die Rüstungsindustrie "zentral beteiligt" ist, wie der Verein LobbyControl damals betonte.

Das sei mit ihrer Tätigkeit als Ausschussvorsitzende schlecht vereinbar. Die Rüstungsindustrie würde so über "sehr enge und privilegierte Zugänge ins Parlament verfügen", sagte Lobbycontrol-Sprecher Timo Lange damals der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).

Vor diesem Hintergrund spricht Martin Sonneborn, der für die Satirepartei Die Partei im Europaparlament sitzt, auch gern von "Marie-Agnes Strack-Rheinmetall". Auch über die Bezeichnung "Eurofighterin", die ihr die eigene Partei als Ruhmesblatt anheften wollte, machten er und andere sich lustig.

Taurus-Marschflugkörper: Der untaugliche Wahlkampfschlager?

Hinzu kam unter anderem ein Taurus-T-Shirt als Teil ihrer persönlichen Kampagne für die Lieferung der gleichnamigen Marschflugkörper an die Ukraine. Im Februar dieses Jahres stimmte Strack-Zimmermann für den entsprechenden Antrag der Unionsparteien und wirbt weiterhin offensiv dafür, nachdem die Mehrheit der Ampel-Parteien zwar nicht dafür gestimmt, aber mit ihrem eigenen Antrag ein Hintertürchen offengelassen hatte.

Darin wurde ausdrücklich "die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition" befürwortet.

An Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der vergangene Woche der Taurus-Lieferung erneut eine Absage erteilte und nicht zu zwei Ausschusssitzungen erschien, bei denen die CDU/CSU-Fraktion Erklärungen forderte, schrieb Strack-Zimmermann einen "Brandbrief", der zunächst der Bild vorlag.

"Aus Respekt vor dem Parlament wären weitere Informationen zu Ihrer Abwesenheit oder zumindest ein schriftlicher Bericht zu Ihrer Haltung in der Frage der Nichtabgabe von Taurus-Marschflugkörpern wünschenswert", hieß es darin. Die Taurus-Befürworter wissen vermutlich, dass es für ihr Anliegen keine Mehrheit in der Bevölkerung gibt. Scholz wird daher Populismus vorgeworfen.

Geheimnisverrat: Wer von 105 Personen besonders verdächtig ist

Unterdessen hat Strack-Zimmermann Strafanzeige wegen Geheimnisverrats gestellt, weil nach einer als geheim eingestuften Ausschusssitzung mit 105 Teilnehmenden jemand geplaudert hatte. Die Taurus-Marschflugkörper, die nach Einschätzung von Bundeswehr-Luftwaffenoffizieren kein "Gamechanger" im Ukraine-Krieg wären, würden demnach hierzulande fehlen; die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands wäre beeinträchtigt. Ein Argument, das den Gegnern der Lieferung nützt – daher sind sie nun primär verdächtig.

Laut einer Umfrage lehnt auch die Mehrheit der Bevölkerung die Taurus-Lieferung ab – nur 29 Prozent sprachen sich in der Anfang März veröffentlichten Erhebung dafür aus. Beinahe so viele, wie zurzeit die Unionsparteien wählen würden. Die Zielgruppe für militaristische Positionen ohne "linksgrünen" Anstrich könnte somit schon mehr als ausgeschöpft sein.

Die FDP müsste dagegen um den Wiedereinzug in den Bundestag fürchten, wenn er am nächsten Sonntag neu gewählt würde. Seit Monaten darf sie in Umfragen bestenfalls hoffen, knapp über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Im Februar erreichte sie bei einer Insa-Umfrage sogar nur 3,5 Prozent.

Ob sie davon profitieren wird, härter und militaristischer als die CDU aufzutreten, bleibt abzuwarten. Bei der Europawahl im Juni dieses Jahres gilt allerdings keine Prozenthürde – Strack-Zimmermann dürfte somit relativ sicher ins EU-Parlament wechseln, bevor die FDP bei der Bundestagswahl im Herbst 2025 ihr Waterloo erleben könnte.

FDP-Bildungspolitik: Kinder sollen kriegstüchtig werden

Eine CDU-Politikerin musste unterdessen schon die Bildungsministerin mit FDP-Parteibuch davor warnen, Kindern Angst zu machen: Bettina Stark-Watzinger hatte sich dafür ausgesprochen, Kinder und Jugendliche in der Schule auf den Kriegsfall vorzubereiten.

Der CDU-Vizechefin Karin Prien, die das Bildungsministerium in Schleswig-Holstein leitet, ging das zu weit: Es helfe nicht, der Bevölkerung und insbesondere Kindern und Jugendlichen Angst zu machen, sagte sie.

Es sei Aufgabe des Bundes, sich um Fragen des Zivilschutzes und der äußeren Sicherheit zu sorgen, so Prien. Das Thema müsse sensibel und mit großer Ernsthaftigkeit diskutiert werden, befand Prien laut Medienberichten. Die Länder würden sich selbst darum kümmern, für mehr Verständnis in sicherheitspolitischen Fragen zu sorgen.

Auch der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Jarzombek (CDU), kritisierte den Vorstoß: "Wir müssen unsere Kinder schultüchtig machen und nicht kriegstüchtig", sagte er der Bild am Sonntag (BamS). "Jedes vierte Kind lernt in der Grundschule nicht richtig lesen und schreiben – da müssen wir ran."

Zuspruch von Lehrerverband: Politikunterricht bald militarisiert?

Zuspruch erhielt Stark-Watzinger allerdings vom Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands: Der Vorschlag der Bundesministerin sei "sinnvoll", sagte Stefan Düll der BamS.

Er erwarte, "dass sie jetzt das Gespräch mit den Bildungsministern in den Bundesländern sucht", sagte Düll. "Eine Absichtserklärung reicht nicht, jetzt muss im Politikunterricht zum Ukraine-Krieg und zur gesamteuropäischen, ja globalen Bedrohungslage gelehrt werden."

Der Deutsche Lehrerverband repräsentiert allerdings nicht die Berufsgruppe insgesamt, sondern bezeichnet sich als größte Lehrerorganisation außerhalb der Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Nach eigenen Angaben vertritt er über seine vier Mitgliedsverbände rund 165.000 Lehrerinnen und Lehrer. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gibt ihre Mitgliederzahl mit mehr als 280.000 an.

Die GEW wollte bisher zumindest den Einfluss der Bundeswehr an Schulen zurückdrängen, statt ihn weiter auszubauen.