c't 8/2024
S. 168
Story
Schattenflug
Bild: KI Midjourney | Collage c’t

Schattenflug

Videoplattformen sind großartige Projektionsflächen für Wünsche und Träume. Bisweilen verführen sie Nutzer dazu, innere Leere mit fremden Erlebnissen füllen zu wollen. Es kann passieren, dass Influencer und Vlogger einem Zuschauer vertrauter erscheinen als die eigene Umgebung.

Von Maya Pauline Willer

Beim Anblick der vertrauten Waldkulisse ertönte die bekannte Intromusik. Ich lehnte mich in meinem bequemen Altmänner-Computersessel zurück, schob die Gleitsichtbrille zurecht und freute mich. Liam war in einer neuen Episode auf seinem Videokanal zu sehen. Er begann, von seinen und Shelleys gemeinsamen Abenteuern in der abgelegenen Blockhütte am See zu erzählen. Mit seiner ruhigen, leicht geheimnisvoll klingenden Stimme führte er das Publikum in seine Welt und berichtete aus seinem eher unkonventionellen Leben. Liam bot vor allem den Augen, aber auch dem Gemüt seiner Online-Zuschauer einiges. Er zeigte die Natur in seiner heimischen Region nahe der amerikanischen Westküste, wo seine selbst renovierte Blockhütte auf einem Waldgrundstück am See stand. Über den Videokanal konnte ich am Alltag dort teilhaben.

Liams Kanal hatte sich im Laufe der Jahre zu einem virtuellen Ort der Inspiration entwickelt. Mit seiner besonderen Aufmerksamkeit fürs Detail zeigte er die schlichte Schönheit von Momenten, die mancher übersieht. Dabei wurde seine tiefe Verbindung zur Welt um ihn herum sichtbar. Liams Videos vermittelten aber auch einen Eindruck davon, welch verbindendes Potenzial in den Medien des digitalen Zeitalters steckte. Menschen auf der ganzen Welt ließen sich für den Reiz und die Bedeutung der natürlichen Welt um sie herum sensibilisieren. Liams sanfte Stimme und die mühelose Art, wie er auch Unscheinbares beleuchtete, hinterließen einen bleibenden Eindruck bei seinem Publikum.

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